Die Welt der Commons

Muster des gemeinsamen Handelns

Mit vereinten Kräften

Wie man Commons per Crowdfunding finanziert

Enric Senabre Hidalgo

Gäbe es eine Gleichung, um die Internet-Plattform Goteo zu beschreiben, dann lautete sie so: Hacktivismus + Crowdfunding + breite soziale Zusammenarbeit = neue Commons.

Natürlich existierten die einzelnen Größen für sich genommen bereits, doch erst Goteo vermochte sie in einem gemeinsamen offenen Netzwerk miteinander zu verbinden: um Commons-Aktive, also »Commoner«, zu unterstützen und eine neue Sphäre der Commons zu schaffen. Mit über 50.000 Nutzerinnen und Nutzern, insbesondere aus Europa und Lateinamerika, hat Goteo seit seiner Gründung 2012, in weniger als zweieinhalb Jahren, mit mehr als 2 Millionen gesammelten Euro geholfen, über 400 Projekte ins Leben zu rufen. Diese Projekte sind sehr vielfältig, sie stärken Commons, Open Code und Freies Wissen, es geht um Ausbildung, Umwelt, Technologie, Kultur, Start-ups, Journalismus und mehr.1 Zu den bemerkenswertesten Initiativen zählen:

Der Smart Citizen Kit, eine Open-Source-Plattform und Hardware zur Umweltüberwachung, mittels derer Bürgerinnen und Bürger ihre eigenen Umweltdaten veröffentlichen und teilen können.2

Quién manda, ein kollaboratives Kartenprojekt, das die politischen und ökonomischen Machtverhältnisse in Spanien sichtbar macht.3

Open Source Gasifier, ein erneuerbarer Stromgenerator, der einen Biogasreaktor für organische Reststoffe nutzt.4

Nodo Móvil, ein replizierbarer, mobiler Wifi-Hotspot für Communities, soziale Bewegungen und öffentliche Räume.5

Spanien in Flammen, eine Open-Data-Webseite, die es erlaubt, Waldbrände anzuzeigen, deren Ursachen und die Bekämpfungswege darzustellen, ergänzt durch Informationen aus Forschungsberichten.6

Foldarapa, ein kompakter, faltbarer 3D-Drucker, der von der Gemeinschaft in verteilter P2P-Produktion entwickelt und hergestellt wird.7

The Social Market, ein Projekt des Solidarischen Netzwerks Spaniens, das mehr als 230 Firmen und andere Initiativen verbindet, die sich den Werten einer solidarischen Ökonomie verpflichtet fühlen.8

Goteo ist mehr als eine Crowdfunding-Plattform. Goteo ist zu einem Zentrum für eine verteilte, das heißt in vernetzten Strukturen organisierte Zusammenarbeit9 zwischen Menschen geworden, die materielle Ressourcen, Fachwissen, Infrastruktur oder Zeit in ein bestimmtes Projekt einbringen können. Das ist nicht nur für Einzelpersonen interessant, sondern hat sich zu einem Netzwerk lokaler, unabhängiger, aber miteinander verbundener Gemeinschaften in ganz Spanien entwickelt, vom spanischen Teil des Baskenlandes bis ins katalanische Barcelona und nach Andalusien.

Wer zu Goteo gehört, füllt in der Regel zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Rollen aus. Mal muss ein neues Projekt vorgestellt werden, das Unterstützung benötigt, mal wird Hilfe bei der Finanzierung eines Projektstarts benötigt, oder ein Projekt braucht konkrete Beteiligung, damit es gedeihen kann.

Goteo geht zurück auf das Kollektiv Platoniq, einer in Barcelona ansässigen Gruppe, die zu den Vorreitern der Copyleft-Kultur gehörte.10 Die Hacker von Platoniq – zu denen auch ich zähle – wollten Instrumentarien zur Bürgerermächtigung und sozialen Innovation schaffen. Wir nutzten hauptsächlich Open Source und Peer-to-Peer-Technologien, die einfach angepasst und reproduziert werden können. Einige Projekte wurden recht berühmt; Burn Station etwa, das schon 2004 ein mobiles Selbstbedienungssystem entwickelte, um Musik- und Audiodateien kostenlos zu suchen, anzuhören und zu kopieren – und zwar legal unter einer Creative-Commons-Lizenz. Diese Art »das Internet auf die Straße zu tragen«, erregte weltweite Aufmerksamkeit und führte zu offenen Workshops in verschiedenen Städten. Dort wurden Handbücher erstellt, die Wiki-Nutzung erlernt, freie Wifi-Netzwerke eingerichtet oder mit Anleitungen aus dem Netz Haushaltsgeräte repariert.11 Platoniq war an solchen hackathon-ähnlichen Veranstaltungen entweder als »Prozessmittler« oder als »Zeremonienmeister« beteiligt. Trotz der erfolgreichen Arbeit von Platoniq wurde uns nach einigen Jahren schmerzlich bewusst, dass wir einfach viel zu wenig Ressourcen hatten, um wirklich innovative Projekte auf den Weg zu bringen. Mehr Mittel brauchten besonders jene Projekte, die auf Open-Source- und Commons-Prinzipien beruhten. Weder öffentliche, noch private Institutionen sind normalerweise darauf erpicht, diese zu unterstützen, und konventionelle Akteure am Markt sehen ohnehin wenig Nutzen in der Förderung von Innovationen, die darauf angelegt sind, geteilt und kopiert zu werden.

Der Aufstieg des Crowdfunding zu einer neuen digitalen Erfolgsgeschichte eröffnete uns im Jahr 2009 ein Spektrum neuer Möglichkeiten. Plattformen wie Kickstarter machten schnell klar, dass die »Schwarmfinanzierung« durch Hunderte, ja Tausende von Leuten eine realistische Basis hatte. Das Crowdfunding-Standardverfahren bestand damals in der Benennung eines Finanzierungsziels, einem Stichtag, zu dem die Finanzierung erreicht werden musste, einem individuellen Anreizsystem für Unterstützerinnen und Unterstützer sowie einem Alles-oder-Nichts-Prinzip. Das heißt: Entweder gab es bis zum Stichtag ausreichend Beiträge, und das Ziel war erreicht, oder das Finanzierungsziel wurde verfehlt. In diesem Fall wurde alles bis dahin gesammelte Geld zurückgegeben, und die Förderung kam nicht zu Stande.

Einige Platoniq-Beteiligte, besonders Susana Noguero und Olivier Schulbaum, schauten sich diese Mechanismen näher an. Sie fanden heraus, dass die Unterstützung für Open-Source-Projekte im Schnitt großzügiger war als für andere Projekte und dass außerdem regelmäßiger beigetragen wurde. Platoniq ging auch den Feinheiten anderer internetbasierter Fundraising-Systeme auf den Grund – dem von Kiva genutzten Mikrokreditansatz beispielsweise oder Plattformen zum Kreditverleih für Unternehmen. Am Ende stand die Erkenntnis, dass es an der Zeit war, eine neue Plattform aus der Taufe zu heben, und zwar für Innovationen, die zu freiem Wissen und Commons beitragen. Wir hatten kein einziges Projekt oder Werkzeug gefunden, das auf die Logik des Teilens und der Kooperation zugeschnitten war! Also erfanden wir es: Goteo.

Bei Goteo wurde Kooperation von Anfang an großgeschrieben. Bevor wir auch nur eine einzige Programmzeile schrieben, gab es eine ausgedehnte gemeinschaftliche Design-Phase, in der wir uns mit Kulturaktivisten, Open-Source-Praktikern, Designern, Akademikern und anderen mehr abstimmten. Wir baten die potenziellen Nutzerinnen und Nutzer, uns bei der Gestaltung der Plattform zu unterstützen und Funktionen vorzuschlagen, die ihren Bedürfnissen und Erfahrungen am ehesten entsprechen würden. Der offizielle Start der ersten Crowdfunding-Plattform für offene und commons-orientierte Projekte war Ende 2011. In der weiteren Gestaltung standen folgende Werte im Mittelpunkt (in der Reihenfolge ihrer Bedeutung):

Aus Commons schöpfen, in Commons zurückgeben: Neben individuellen Anerkennungen für die Unterstützerinnen und Unterstützer muss jede Initiative, die Goteo nutzt, auch aus ihren Ergebnissen oder Prozessen einen Beitrag zu den Commons leisten. So müssen die Projekte beispielsweise Lizenzen verwenden, die es ermöglichen, Werke teilweise oder ganz zu kopieren, zu teilen, zu verändern und frei zu nutzen.

Ein vertrauenswürdiges Verwaltungsmodell: Goteo wird von einer als gemeinnützig anerkannten Stiftung getragen, der Fuentes-Abiertas-Stiftung. Diese Rechtsform bietet sowohl den mit finanzierenden als auch den Projektunterstützern Steuervorteile.

Eine Kultur der Transparenz: Jedes Projekt muss detailliert Auskunft darüber geben, was mit dem gesammelten Geld geschieht. Kombiniert mit einem zweistufigen System der Mittelbeschaffung bedeutet dies, dass selbst sehr erfolgreiche Kampagnen die tatsächliche Verwendung aller eingeworbenen Mittel offenlegen, einschließlich derer, die sie über das Beschaffungsziel hinaus erhalten haben. Zudem unterzeichnen Goteo und die Projektträger einen Vertrag, in dem festgehalten ist, dass die Leistungen, die in der Crowdfunding-Kampagne beschrieben sind – wie Produkte, Dienstleistungen, Aktivitäten, Archive – auch tatsächlich erbracht werden.

Vernetzte Zusammenarbeit: Alle sind eingeladen, sich über die finanziellen Beiträge via Goteo hinaus an Projektentwicklungen zu beteiligen. Sie können Dienstleistungen, Materielles und Infrastruktur beitragen oder auch Kleinstaufgaben übernehmen.

Fortbildung: Goteo hat mehr als 2.000 Menschen aus verschiedenen Bereichen in Dutzenden von Workshops beraten und trainiert. Dieses Engagement verbreitet unser Wissen genauso wie Goteos Anhängerschaft und stärkt zudem unsere ökonomische Basis.

Lokale Netzwerke: Goteo ist keine zentrale Drehscheibe, sondern eher eine Gemeinschaft von Gemeinschaften – also ein Netzwerk lokaler, unabhängiger Initiativen, denen Goteo einen zusätzlichen Anker und Kontext bietet. Das erste Netzwerk entstand im spanischen Baskenland, unterstützt von der Baskischen Regierung. Das zweite später in Andalusien, nun kommen Barcelona und Nantes in Frankreich hinzu.

Öffentlich gesellt sich zu Privat: Goteo ist ein Pionier im Einwerben von öffentlichen und privaten Investitionen zur Förderung offener Kulturprojekten durch einen Bottom-up-Prozess, den wir »Cloudfunding Capital« nennen. Zu jedem Euro, den eine Privatperson aufbringt, kommt ein Euro aus einem so genannten »Commons Capital Fund«, den beteiligte Institutionen gemeinsam gegründet haben.

Open Source: Hauptbestandteile der Software von Goteo stehen unter einer General Public License 3.0 und sind via GitHub frei zugänglich. Damit ist sichergestellt, dass die Software nach Open-Source-Prinzipien genutzt und verbessert werden kann.

Unsere Gestaltungsprinzipien und die darin eingeschriebenen Werte sorgen dafür, dass das Goteo-Crowdfunding besser mit den Prinzipien der Offenheit und der Commons im Einklang steht, als das für andere Plattformen gilt. Das führt auch zu Mehrarbeit, um sicherzustellen, dass die Projekte diesen Anspruch tatsächlich umsetzen und der Allgemeinheit wie erhofft etwas zurückgeben oder etwas für sie zugänglich machen. Aber mit Zehntausenden Nutzern und einer siebzigprozentigen Erfolgsrate (die Mehrzahl der Crowdfunding-Plattformen erreicht kaum 40 Prozent) sind wir überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein. Goteos Erfolg hat einen neuen Standard im Crowdfunding gesetzt und einige der Protagonisten auf diesem Gebiet neugierig gemacht.

Goteo will nun »den Kreis schließen« und neue Formen der Peer-to-Peer-Entwicklung sowie -Begleitung vor und nach dem Crowdfunding auf den Weg bringen. Doch das wird noch warten müssen, da wir zunächst konsolidieren werden, was uns am wichtigsten ist: die Finanzierung und Stärkung der Commons.

Enric Senabre Hidalgo hat einen Masterstudiengang zur Informations- und Wissensgesellschaft absolviert. Er gehört zum Platoniq-Kollektiv, ist Mitbegründer und inhaltlicher Koordinator von Goteo.org sowie Vizepräsident des Observatoriums für CyberSociety. Er lehrt zudem Software-Studien sowie Geschichte der Digitalen Kultur an der Open University von Katalonien.

1 | Siehe: www.goteo.org (Zugriff am 12. Februar 2015).

2 | Siehe: https://goteo.org/project/smart-citizen-sensores-ciudadanos (Zugriff am 12. Februar 2015).

3 | Siehe: https://goteo.org/project/quien-manda (»quién manda«, dt. »wer bestimmt« [Anm. der Hg.]).

4 | Siehe: https://goteo.org/project/gasificador-opensource-en-el-chad (Zugriff am 12. Februar 2015).

5 | Siehe: https://goteo.org/project/nodo-movil (Zugriff am 12. Februar 2015).

6 | Siehe: https://goteo.org/project/espana-en-llamas (Zugriff am 12. Februar 2015).

7 | Siehe: https://goteo.org/project/foldarap-peer-to-peer-edition (Zugriff am 12. Februar 2015).

8 | Siehe: https://goteo.org/project/desarrollando-el-mercado-de-economia-solidaria (Zugriff am 12. Februar 2015).

9 | Im Original: »distributed cooperation«, die Kooperation wird also durch die Vernetzung über neue Informationstechnologien erleichtert und ist nicht zwingend auf persönliche Begegnung angewiesen (Anm. der Hg.).

10 | Siehe: www.youcoop.org. Mehr zum Copyleft findet sich im Beitrag von David Bollier zu alternativen Lizenzen in diesem Buch (Anm. der Hg.).

11 | Siehe: www.bankofcommons.org sowie http://youcoop.org/en/bcc.