Die Welt der Commons

Muster des gemeinsamen Handelns

Erfolge auf dem Feld

Wenn Reisbauern sich zusammentun

Erika Styger

Im Jahr 1983 setzte die Regenzeit im Hochland von Madagaskar früher ein als sonst. Die Reissetzlinge in den Aufzuchtbeeten waren zum Auspflanzen noch zu klein. Der französische Jesuitenpriester Henri de Laulanié stand vor einer schweren Entscheidung: entweder noch zwei Wochen zu warten (was dann zu Ernteverlusten führen würde) oder die Pflanzen so umzusetzen, wie sie waren. Er entschied, die winzigen, fünfzehn Tage alten Setzlinge auszupflanzen. Das hatte bis dahin noch niemand versucht. Doch dann war der Ertrag weit besser als alle anderen Erträge der Gegend. Pater Laulanié und die jungen Bäuerinnen und Bauern, mit denen er arbeitete, waren vom Ergebnis überrascht und zugleich inspiriert, ihre Experimente und Feldbeobachtungen fortzusetzen.

Während der nächsten fünf Jahre experimentierten die Bauern mit Setzlingen, die sie nach zwölf, zehn, neun und acht Tagen auspflanzten. Sie setzten zudem nur eine Pflanze pro Pflanzhaufen, vergrößerten den Abstand zwischen denselben und ließen mitunter die Erde zwischendurch immer wieder austrocknen. Dieses Vorgehen unterschied sich erheblich von der üblichen Praxis, 30 bis 60 Tage alte Setzlinge zu dritt oder zu sechst eng aneinander auf einen Pflanzhaufen zu setzen und den Boden während der ganzen Saison überflutet zu halten. Die Ergebnisse waren ermutigend. Die Pflanzen wurden sichtlich gesünder und stärker. Die Anzahl der Schösslinge steigerte sich von 20 bis 25 pro Pflanze auf 60 bis 80; dementsprechend stieg die Ernte und zwar von einer Tonne pro Hektar auf zwei bis fünf, bei einigen Flächen sogar auf sechs bis sieben Tonnen. Trotz gleichbleibend guter Ergebnisse, weiß Laulanié, nahmen bis 1988 weder landwirtschaftliche Forschungsinstitute noch die Behörden die Versuche ernst. Sie zeigten nicht einmal Interesse, die Felder selbst in Augenschein zu nehmen.

Doch das hielt die Bäuerinnen und Bauern nicht davon ab, ihre Experimente, die sie »System for Rice Intensification« (SRI) nannten, fortzusetzen. Im Jahr 1990 gründeten Laulanié und einige seiner madagassischen Freunde eine lokale Nichtregierungsorganisation, die Association Tefy Saina. Sie wollten SRI bekannt machen und zur ländlichen Entwicklung in Madagaskar beitragen. Vier Jahre später begann das an der Cornell Universität in Ithaka/New York beheimatete Internationale Forschungsinstitut für Nahrungsmittel, Landwirtschaft und Entwicklung (Cornell International Institute for Food, Agriculture and Development, CIIFAD), an der Optimierung der Landwirtschaft in den Randzonen des Regenwaldes rund um den madagassischen Nationalpark Ranomafana zu arbeiten. Nachdem die Forschenden über Tefy Saina von SRI erfahren hatten und von den Ergebnissen beeindruckt waren, begannen sie mit eigenen Testreihen. Nach drei Jahren gleichbleibend hoher Ernten begannen sie, ihr Wissen über diese neue Methode mit Reisforschern außerhalb des Landes zu teilen. In den folgenden zwölf Jahren, bis 2010, war ein kleines Team der Cornell Universität damit befasst, Informationen über SRI an neue Anwender weiterzugeben sowie Feldforschungsdaten und Erfahrungsberichte jener, die SRI in ihren jeweiligen Ländern testeten, zusammenzutragen. Dieses Wissen war offen. Es wurde auf vielfältige Art und Weise weitergetragen: durch Vorträge, Seminare, persönliche Besuche, zufällige Reisebegegnungen, E-Mails, Publikationen und schließlich die kleine Webseite, die in der Cornell Universität aufgesetzt worden war und die bis heute zum weltgrößten SRI-Archiv angewachsen ist.1

Über die Betreuung dieser Plattform, die es ermöglichte, neue Ideen und Beobachtungsergebnisse aus der Praxis zu teilen, entdeckte das Team der Cornell Universität, dass ein globales, informelles Netzwerk entstanden war – eine neue Art von Commons. Das war weder beabsichtigt noch finanziert worden, sondern hatte sich aus einem kleinen, inoffiziellen Projektableger heraus entwickelt.

Auf ähnliche Weise entwickelten sich in einigen Ländern unabhängig voneinander eigene Initiativen und sogenannte »Communities of Practice«. Tausende Bäuerinnen und Bauern, die von SRI gehört hatten, waren neugierig geworden. Sie experimentierten mit dem System, oft in enger Zusammenarbeit mit Forschern und Technikerinnen. Sie erkannten den Nutzen und erzählten davon im eigenen Umfeld. Wer sich von den Vorteilen überzeug hatte, motivierte wieder Andere zum mitmachen; so entwickelten sich eigene nationale Netzwerke, die SRI-Methoden verbreiten und zu weiteren Innovationen beitragen. Jedes Netzwerk ist auf seine Weise einzigartig und hat eigene Organisationsstrukturen und Arbeitsweisen entwickelt.2

Da immer mehr Menschen etwas über SRI wissen wollten, trieb das Forschungsteam in Ithaka schließlich die Mittel auf, um 2010 das offizielle Internationale SRI-Netzwerk und -Ressourcenzentrum (SRI International Network and Resources Center, SRI-Rice) einzurichten. Dessen ursprüngliches Ziel war es, Informationen über SRI zugänglich zu machen und auszubauen sowie die internationale Vernetzung zu unterstützen. Doch bald erweiterte SRI-Rice sein Aufgabenspektrum um Projektplanung, technische Umsetzung, Richtlinienentwicklung, Erstellung von Weiterbildungsmaterialien sowie Datenerfassung und -auswertung.

Seit das Team der Universität Cornell 1998 begonnen hatte, über SRI zu informieren, haben viele Praktiker und Wissenschaftlerinnen in Asien, Afrika und Lateinamerika die Methode evaluiert. Diese große Fülle an Untersuchungen hat bestätigt, dass die SRI-Methode unter vielfältigen Bedingungen und bei unterschiedlichen ökologischen Gegebenheiten anwendbar ist. Von Feuchtgebieten bis Trockenzonen, von Tallagen bis in die Hochebenen: die Ertragsverbesserung durch Anwendung der SRI-Prinzipien wurde bislang in mehr als fünfzig Ländern bestätigt.3

Die Erfahrung zeigt, dass die erfolgreiche Einführung des Systems in einem Land hauptsächlich von drei Faktoren abhängt:

1. Engagierte Personen, die die SRI-Methode zu den Bauern bringen und deren Testergebnisse bekannt machen, sind wichtig.

2. Fundiertes technisches Wissen und die Anpassung der SRI-Praktiken an die jeweilige Umgebung sind notwendig.

3. Zugang zu Finanzierung, die meist mit lokal vorhandenen beziehungsweise landeseigenen Mitteln bestritten wurde, wird ebenso gebraucht.

Doch es gibt noch andere Gründe für den überraschenden Erfolg von SRI: Die Methode ist einfach zu verstehen und problemlos anwendbar, auch wenn die konkrete Umsetzung an die lokalen Bedingungen angepasst werden muss. Da SRI eine wissensbasierte Vorgehensweise ist, können Bäuerinnen und Bauern sie ohne Schwierigkeiten in ihrem jeweiligen Umfeld testen, sobald sie mit den SRI-Prinzipien und den wichtigsten Praktiken vertraut sind. Diese Praktiken werden nicht vorgeschrieben. SRI bietet also weder ein fest geschnürtes Maßnahmepaket noch Patentlösungen an. Wenn nun die Bauern ihre je eigene Praxis entwickeln, besteht die Herausforderung darin, festzuhalten, was gut funktioniert und was nicht, und dieses Wissen mit anderen zu teilen. Zu diesem Zweck hat SRI-Rice eine einfache und leicht zugängliche Online-Plattform für »BürgerInnen-Wissenschaft« aufgebaut, die Bauern und Technikerinnen nutzen können, um ihr Erfahrungswissen und ihre Ideen mit dem Rest der Welt zu teilen.

Die überraschende Wirksamkeit des Systems erregt Aufmerksamkeit. Tatsächlich sind die Wirkungen klar und deutlich. Die Anwendung der SRI-Methode erhöht die Ernten um 20 bis 50 Prozent, oft sogar mehr, bei weniger Saatgut-, Wasser und Chemikalieneinsatz. Bäuerinnen und Bauern spüren den unmittelbaren Nutzen bereits innerhalb einer Saison, und sie benötigen dafür nur die ihnen ohnehin verfügbaren Ressourcen sowie eine veränderte landwirtschaftliche Praxis. Die Pflanzen entwickeln sich schneller, sind kräftiger und werden produktiver. Bäuerinnen, Wissenschaftler und Techniker sind überrascht, wenn sie das erste Mal beobachten, wie sich ein SRI-Feld entwickelt. SRI weckt ihre Neugierde und bringt neue Fragen bezüglich der besten landwirtschaftlichen Praktiken auf. Böden, Wasser, Pflanzen, Bodenorganismen und Nährstoffe können produktiver eingesetzt werden. Bauern müssen nicht auf neues Saatgut, Düngemittel und anderen Chemikalien zurückgreifen, um ihre Erträge zu verbessern. Sie werden motiviert, die bislang wahrgenommenen Grenzen ihres Denkens und Handelns zu überschreiten.

So entstand zum Beispiel das »System der Ertragsintensivierung« (System of Crop Intensification, SCI) als SRI-Bäuerinnen und Landwirtschaftstechniker begannen, SRI-Prinzipien auf andere Kulturpflanzen anzuwenden, wie Weizen, Fingerhirse, Zuckerrohr, Senf, Hülsenfrüchte und Gemüse. Davon haben Hundertausende Bauern, besonders in Indien, profitiert.4

SRI ist »open source«. Es gehört niemandem und wird als Commons gemeinsam genutzt. Niemand verfügt über die Theorie und Praxis von SRI. Das mag bei manchen, die gerne in wohldefinierten und festgelegten Theorien und Methoden denken, Irritationen auslösen. Aber bei SRI-Rice arbeiten wir daran, Wissen für die Öffentlichkeit frei zugänglich zu machen, schlicht weil es darum geht, so viele Bäuerinnen und Bauern wie möglich zu erreichen. Der Nachteil ist, dass der Wert dieses offenen Wissens oft nicht gewürdigt wird. Weil es frei verfügbar ist, wird es manchmal als wertlos wahrgenommen. Doch die freie Verfügbarkeit war in vielen Ländern, in denen SRI zur Anwendung kam, gerade die Voraussetzung für den Erfolg.

Es gab und gibt Zweifel und Skepsis. Als SRI zu Beginn der 2000er-Jahre erstmals in verschiedenen Ländern ausprobiert wurde, entfachte sich eine kurze aber hitzige Debatte. Einige auf Reis spezialisierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zweifelten daran, dass derart substantielle Verbesserungen allein durch eine Veränderung der landwirtschaftlichen Praxis erreicht werden konnten. Wie sollte eine einfache, von einem unbekannten Jesuitenpfarrer erfundene und durch ein globales Netzwerk von gewöhnlichen Bauern und Bäuerinnen verfeinerte Methode den Empfehlungen etablierter globaler Forschungsverbünde den Rang ablaufen können?

SRI-Rice spielt zwar eine wichtige Rolle für seine Nutzerinnen und Nutzern, aber es ist schwer, etwas über den tatsächlichen Einfluss seiner Vernetzungs- und Beratungstätigkeit in den vergangenen sechzehn Jahren zu sagen. Wirkungen und Ergebnisse sind oft indirekt, und sie entwickeln sich nicht-linear. Nach aktuellen Schätzungen profitieren mehr als zehn Millionen Bäuerinnen und Bauern von der SRI-Methode. Doch das könnte noch zu niedrig geschätzt sein, denn es ist schwer nachvollziehbar, wie sich das Wissen über SRI tatsächlich verbreitet hat. Fest steht: Die internationale Community of Practice wächst, Sie bleibt aber informell. Wer immer interessiert ist, der kann mitmachen. Es gibt keine Mitgliedschaft und keine Auswahlkriterien, aber auch keine formelle Unterstützung. Das bedeutet zweierlei: Das Netzwerk einiger Hundert Einzelpersonen, die sich aus eigener Motivation engagieren, erhält sich selbst. Das ist ein Vorteil. Diese Menschen bleiben Teil der Community, trotz der geringen direkten Unterstützung. Von Nachteil ist, dass sich viele der Mitglieder nicht kennen. So kann ein großes Potenzial für Zusammenarbeit und Synergien zwischen Partnern nicht genutzt werden kann. Um diesen Nachteil auszugleichen, unterstützt SRI-Rice das Entstehen regionaler Netzwerke. So kann der Austausch in technischen Fragen sowie das Lernen untereinander über Landesgrenzen hinweg leichter gemacht werden, vor allem dort, wo die Umweltbedingungen vergleichbar sind. SRI-Rice wirkte an der Entwicklung eines weltbankfinanzierten Projekts zur Verbreitung von SRI in Westafrika mit, in dem Partner aus dreizehn Staaten eng zusammenarbeiten.5 Dennoch könnte es an der Zeit sein, darüber nachzudenken, wie das internationale Netzwerk besser strukturiert und formalisiert werden kann, um mehr persönliche Begegnungen und Kooperationen zu ermöglichen, ohne das Herz des Projekts – den Geist der Commons – aufs Spiel zu setzen.

Das bisher Erreichte bietet noch viel Anknüpfungspotenzial. Der Wissensbedarf unter Kleinbäuerinnen und -bauern in Afrika, Asien und Lateinamerika ist groß, und die internationale Community of Practice steht zur Verfügung, um zusammenzuarbeiten. Wir wissen besser als je zuvor, wie die SRI-Methode an verschiedene Klimabedingungen und Anbaumethoden angepasst werden kann. Zudem erweist sich Innovation in der Landwirtschaft durch die dort Tätigen selbst für die Verbesserung der Erträge anderer Kulturpflanzen oder in gar in anderen Bereichen der kleinbäuerlichen Landwirtschaft als inspirierendes Modell.

Literatur

Laulanié, H. (1993): »Le Système de Riziculture Intensive Malgache«, in: Tropicultura, Bd. 11(3), S. 1-19.

Erika Styger ist seit 2010 Programmdirektorin (SRI-Rice) an der Cornell Universität in Ithaca, New York. Zuvor arbeitete sie über 20 Jahre in der landwirtschaftlichen Forschung und in Entwicklungsprogrammen für Afrika. Unter anderem hat sie gemeinsam mit Bäuerinnen und Bauern die Anwendung von SRI in Mali getestet und weiterentwickelt.

1 | Siehe: http://sririce.org (Zugriff am 28. Januar 2015).

2 | Eine Liste der verschiedenen Netzwerke findet sich unter http://sri.cals.cornell.edu/listservs/index.html (Zugriff am 28. Januar 2015).

3 | Siehe: http://sri.cals.cornell.edu/countries/index.html (Zugriff am 28. Januar 2015).

4 | Die bisher umfassendste Sammlung von SCI-Daten findet sich auf: http://sri.cals.cornell.edu/aboutsri/othercrops/SCImonograph_SRIRice2014.pdf (Zugriff am 28. Januar 2015).

5 | Weitere Informationen unter www.sriwestafrica.org (Zugriff am 28. Dezember 2014).