Die Welt der Commons

Muster des gemeinsamen Handelns

Der offene Weg

Über freies, selbstbestimmtes, entschultes Lernen

Claudia Gómez-Portugal

In der mexikanischen Kleinstadt Tepoztlán entsteht auf Initiative einiger Familien derzeit ein Raum für freies, unabhängiges und sinnstiftendes Lernen. 14.000 Menschen leben in den sieben Vierteln der Stadt, manche davon sind indigener Herkunft oder zugewandert. Es gibt viel gemeinschaftlich genutztes Land, das hat in Mexiko Tradition. Darüber hinaus finden sich zahlreiche Initiativen alternativen Wirtschaftens – etwa die Tauschwährung Ollines oder TepozTequio, wo Menschen gemeinsam und füreinander arbeiten.1 Es gibt das TepozHub, ein von mehreren Initiativen genutztes Büro, in dem die Infrastruktur allen Beitragenden zur Verfügung steht, den Second-Hand- und Tauschladen Tepoz und das Gemeinschaftsradio Tepoztlán. All dies, so befand unsere Familie, würde ein einzigartiges Potenzial bieten, für unsere Kinder, aber auch für Jugendliche und Erwachsene, und es würde allen einen besonderen Lernkontext schaffen. So beschlossen wir, zum Wandel »von unten« beizutragen und mit vielen ähnlich Denkenden auf eine andere Bildung zu setzen.

Wie es dazu kam, ist schnell erzählt. Unserer Familie war immer öfter die Frage begegnet, in welche Schule wir unsere Kinder schicken würden? Die Frage stellte sich auch für andere Eltern immer dringender, sie wurde mitunter zum beherrschenden Thema. Für uns hatte sie jedoch eigentlich keinen Sinn. Denn wir fanden es letztlich wichtiger, allgemeiner zu fragen: nämlich wie wir unsere Kinder aufwachsen und lernen lassen wollten. Wir dachten darüber nach, was wir in und mit der Zeit tun würden, die wir unseren Kindern widmeten, und was wir selbst verändern müssten, damit sie frei aufwachsen und über ihr Leben frei entscheiden lernen. All diese Fragen brachten uns dazu, das Lernen und die Verbindung zwischen Lernprozessen und Lebensfreude neu zu entdecken. Sie haben uns in der Überzeugung gestärkt, im Leben unserer Kinder für diese Verbindung zwischen Lebensglück und Lernen sorgen zu wollen; aber auch im Leben anderer, und vor allem in unserem eigenen Leben. Wir wollten einen Weg öffnen, den alle mitgehen können, durch den wir uns neu erfinden und neu bestimmen, was zu tun ist, in dem wir unsere Mittel, Möglichkeiten und Fähigkeiten, zu lernen und zu handeln, erweitern und so gemeinsam mit anderen die Kraft hervorbringen und erfahren, die im Lernen selbst liegt.

Auf unserer Suche nach Möglichkeiten, uns andere Formen des Lernens und des Lebens auf diesem Planeten anzueignen, entstand »Camino Abierto«, der Offene Weg. Der Name erinnert an das Gedicht »Song of the Open Road« von Walt

Whitman aus dem Jahr 1856 (dt.: »Gesang von der offenen Landstraße«). Camino Abierto versteht sich als Gemeinschaft selbstbestimmten Lernens. Hier versuchen wir, Lernen und Leben zu integrieren und dabei gemeinschaftliche Zusammenhänge lebendig zu halten. Zu unserer Gruppe gehören Familien, deren Kinder eingeschult sind, und andere, deren Kinder nicht zur Schule gehen. Wir treffen uns regelmäßig zum Meinungsaustausch, um uns gegenseitig zu unterstützen, organisieren gemeinsame Aktivitäten, Besichtigungen oder Ausflüge und sorgen für Workshops, an denen alle teilnehmen können. Dabei gehen wir zunächst von den Interessen und Fähigkeiten aus, die es unter uns gibt, und stellen Monat für Monat alle Aktivitäten in einem Kalender zusammen. Kurz: Wir gestalten und leben das Lernen als Commons! Etwa indem wir über das Gleichgewicht des Lebens und der Biologie im Garten und draußen in der Tier- und Pflanzenwelt lernen oder über Geographie in der Landschaft der Region, indem wir uns beispielsweise im Filmclub ein Bewusstsein für globale Zusammenhänge erarbeiten, uns gegenseitig kennenlernen, dabei unseren Toleranzbereich und unsere Grenzen ausloten, uns in Lesezirkeln in der Auseinandersetzung mit anderen und durch die Kraft des Wortes neu erfinden und an der sozialen Integration arbeiten, sowohl als Menschen als auch als Bürgerinnen und Bürger, im öffentlichen Raum, den wir mit Fahrrädern, Dreirädern oder Rollschuhen nutzen2 – was eine Umgestaltung dieses öffentlichen Raumes erfordert –, oder wenn wir Parks oder Gemeinschaftsgärten schaffen.

Gemeinschaften aufzubauen und lebendig zu halten, das ist der bedeutungsvollste, notwendigste und nützlichste Lernprozess unserer Zeit. Er vollzieht sich auf lokaler Ebene und in kleinen Schritten, aber mit ausgesprochen menschlichem Maß. Vor Ort eignen sich Menschen diese Art des Lernens an, sie integrieren es in ihr Familienleben, gestalten die Lernprozesse und deren konkrete Umsetzung selbst und schaffen sich so Netzwerke zur gegenseitigen Unterstützung, die wiederum zu mehr verfügbaren Ressourcen und Beziehungen führen und so allmählich einen lernfreundlichen Kontext hervorbringen. All dies ist selbst ein Commons, ein Raum der Gemeinschaftlichkeit.

In vielen Teilen der Welt wird Lernen wieder als Commons verstanden und eingefordert. Dabei sind Art und Charakter der Initiativen sehr unterschiedlich, doch ihnen allen ist gemein, dass sie das Lernen selbst steuern, es in Sinnzusammenhänge einbetten, es auf den je eigenen Interessen, Problemen, Fragen und Biographien gründen und dies in selbstbestimmter, freier und entschulter Weise (»unschooling«)3 – jenseits des Staates und jenseits einer Marktlogik, die sowohl die schulischen Lehrpläne zunehmend prägt und die Freiheit der Wissenschaft unterläuft.

Herausfordernd am »Lernen als Commons« ist, dass es immer und immer wieder angegangen werden muss und zwar, im Gegensatz zum »Homeschooling«, in einer Gemeinschaft. Es ist herausfordernd, einzigartige Lebensräume zu schaffen, in denen Kinder und Jugendliche Kurse besuchen, in Projekten arbeiten, Probleme lösen oder einfach nur spielen können, kurz: ein Ambiente zu kreieren, das in das aktive Leben eingebunden ist und in dem Zwang, Druck, Manipulation, Drohungen und Angst keinen Platz haben. Solche »Lerngemeinschaften« wollen Schule nicht imitieren, sondern Umgebungen herstellen, in denen die Beteiligten etwas tun, und wo ihnen das, was sie tun, immer besser gelingt, auch weil es ihnen direkt zu Gute kommt. So zu lernen ist ermutigend. Mädchen, Jungen, Jugendliche, Männer und Frauen lernen für sich selbst, wenn sie Interesse mitbringen, einen geeigneten Kontext finden sowie über die Ressourcen und die Freiheit verfügen, dies zu tun.

Über das Lernen selbst zu entscheiden enthält selbst einen Lernprozess. Er liegt darin, dass wir reflektieren müssen, wie wir unsere Zeit verbringen und wie wir der Welt Sinn geben wollen – ausgehend von unserer Identität und in Beziehung mit anderen, denn Lernen braucht auch stets ein Gegenüber. Dieses Lernen bleibt uns, es wird verstanden und erinnert. Hier stehen Neugier und Kreativität im Mittelpunkt, die sich in horizontalen Netzwerken zwischen Gleichgesinnten entfalten können und so Solidarität und Austausch fördern. Zugleich legt solch ein Prozess ein großes individuelles Entwicklungspotenzial frei. Er schafft die Bedingungen dafür, dass Menschen ihr Leben selbst gestalten und es ausleben. Anders gesagt: Lernen ist Leben.

Lernen als Commons wirkt in die Familien hinein, in die Art, wie wir uns in verschiedenen Lebensbereichen organisieren oder wie wir die Geschlechterverhältnisse verändern lernen. Gustavo Esteva, Gründer der Universidad de la Tierra in Oaxaca (dt. Universität der Erde im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca), drückt es so aus: »… wirklich nötig sind Voraussetzungen für ein gutes Leben, eine Gemeinschaft, in der Menschen jeden Alters lernen und in der die verschiedenen Arten des Lernens gedeihen können. (…) Wenn es uns nur um Schulbildung und Schulgebäude geht, in denen unsere Kinder und Jugendlichen bleiben und lernen können, verschließen wir die Augen vor der tragischen Sozialwüste in der wir leben« (Esteva 2007).

Bei Camino Abierto scheint es schwer vorstellbar, diese Aufgabe aus einer Kultur des Individualismus heraus anzugehen; zugleich sind die meisten von uns nicht in Gemeinschaften eingebunden. Unsere Lebensrealität entspricht nicht den Commons. Deshalb ist diese Art, unser Lernen zu gestalten, für uns auch eine Möglichkeit, gemeinschaftliche Zusammenhänge im Alltag aufzubauen und zu beleben. Wie groß diese Aufgabe ist, hat Ivan Illich formuliert, denn »… wir haben fast die Fähigkeit verloren, von einer Welt zu träumen, in der das Wort angenommen und geteilt wird, in der niemand die Kreativität des Anderen einschränkt, in der jeder das Leben verändern kann« (Illich 1978: 15).

Dabei ist es gar nicht so schwer, Alternativen zu schaffen. Das Entfaltungspotenzial ist beträchtlich. Es gibt viele Möglichkeiten, sich auszutauschen und einen echten Multikulturalismus zu entwickeln: Autonome Lerngemeinschaften verbinden sich mit anderen Welten und anderen Lerngemeinschaften auf Augenhöhe, gerade mit solchen, die auf »neue Commons« der Informations- und Kommunikationstechnologien setzen. Volksbildungsinitiativen, Gemeinschaftsschulen, Bildungseinrichtungen, Ausbildungszentren, Lerngemeinschaften, selbst Hochschulen – in allen Strukturen kann Lernen als Commons begriffen werden.

Die zapatistischen Gemeinden in Mexiko sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie ernst die Forderung nach Bildungsautonomie genommen werden kann. Die zapatistische Bildung bietet einen unglaublich starker Anker, »das Lernen von unten aufzubauen und in den Gemeinschaften selbst jene Elemente zu suchen, die die lokale Realität mit dem Universellen verbinden; sie aus der lokalen Verankerung heraus zu entwickeln und dabei auf das in den indigenen, bäuerlichen Gemeinschaften vorhandene Wissen zu setzen […] Ihr ist es gelungen, ein Bildungssystem mit verschiedenen Stufen zu entwickeln, die von den zapatistischen Gemeinden selbst entwickelt worden sind, mit Bezug zu ihrer Geschichte und ihrer geographischen Umgebung; […] sie richtet ihren Blick auf die zapatistischen Gemeinden, selbst wenn sie nach einer besseren Organisation dessen sucht, was diese Gemeinden schon seit Jahrhunderten getan haben, nämlich jene auszubilden, die sich in Zukunft um das Leben in den Gemeinden kümmern werden, in letzter Instanz, damit diese nicht sterben, sondern im Gegenteil immer neu geboren werden« (Zaldívar 2007: 48).

An der bereits erwähnten Universidad de la Tierra (kurz »Unitierra«) in Oaxaca wird ähnlich gedacht. Sie entstand Mitte der 1990er Jahre4, um vor allem Jugendlichen ohne Schulabschluss oder berufliche Bildung freie Lernmöglichkeiten zu bieten und dabei Lernformen zu nutzen, mit denen Menschen seit jeher auf ihre Art umgegangen sind. Unitierra ist ein Beispiel dafür, wie Orte der Konvivialität5 geschaffen werden, an denen sich alle einbringen, gemeinsam lernen und doch jeder Mensch tut, was sie oder ihn interessiert. Der Gründer Gustavo Esteva formuliert es so: »Wissen ist eine Beziehung mit anderen und mit der Welt, kein Konsum einer Ware, die in Kenntnishäppchen verpackt ist. Solch ein Päckchen zu konsumieren bedeutet, bestenfalls, Information über die Welt zu erhalten. Doch Wissen bedeutet von der Welt zu lernen, indem wir mit ihr, den Anderen und der Natur in Beziehung treten und sie erfahren. […] An der Universität lernen die Jugendlichen das, was sie interessiert, von denen, die etwas Bestimmtes tun oder herstellen; so erwerben sie nicht nur spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten, sondern sie beobachten das Leben von Menschen, die bestimmten Tätigkeiten nachgehen und können sich darüber klar werden, ob es das ist, was sie im Leben wirklich sein wollen. Das Gelernte ist für ihre jeweiligen communities nützlich, und es bringt den Jugendlichen Würde, Wertschätzung und Einkommen (Esteva 2001: 10).

Unitierra ist auch ein Ort des Nachdenkens über die Ökonomisierung des Lernens, also der Tatsache, dass »Bildung ein Lernen unter Bedingungen der Knappheit ist und von daher historisch gesehen eine relativ junge Praxis darstellt, die mit der Wirtschaftsgesellschaft entstanden ist. Überall ergreifen Menschen und ganze Völker Initiativen, die nicht mehr darauf beschränkt sind, das Bildungssystem zu reformieren oder wieder anzueignen. Vielmehr lassen sie es hinter sich.« Esteva stimmt hier mit Holt überein (Holt 1976), wenn er hinzufügt, »unsere Lebenskompetenz entsteht daraus, das wir durch das Tun lernen, […] genau genommen bedeutet lebendig sein, bedeutet leben, nichts anderes als Lernen« (Esteva 2001: 9).

Unitierra verbindet das Einfordern von Lernmöglichkeiten mit einer Alternative zum Bildungssystem, verbindet autonomes, von Markt und Staat unabhängiges Lernen mit dem Erhalt der Lebendigkeit von Gemeinschaften und der Schaffung von Commons.

Schauen wir in andere Länder: In ganz Indien existiert mit Shikshantar6 eine Bildungsinitiative, die sogenannte »radikale Lerngemeinschaften« in den Mittelpunkt stellt. Sie wurde von Freiheitskämpfern wie Mahatma Gandhi und Rabindranath Tagore inspiriert und ist als eine »Bildungsbewegung« im Geiste einer umfassenderen Gabenkultur zu beschreiben, die informelle Wissenssysteme wieder in den Blick nimmt. Shikshantar unterhält in Udaipur (Rajasthan) ein intergenerationelles, gemeinschaftsbasiertes »Entlernzentrum« mit Bibliothek, Slow-Food-Café, städtischer biologischer Landwirtschaft, einer Werkstatt zum Selbermachen und Upcyclen sowie einem gemeinschaftlichen Medienzentrum. Menschen aller Altersgruppen kommen dort zusammen, um ihr Wissen zu teilen, sich neue Fähigkeiten anzueignen und gemeinsam einen Ort vibrierenden Experimentierens zu schaffen. Einmal im Jahr veranstaltet Shikshantar eine sogenannte »Unkonferenz der Lerngesellschaften«, dort kommen Lerngemeinschaften aus ganz Indien zusammen und vertiefen Debatten, die darauf abzielen, die dominierende Monokultur von Bildung und Entwicklung zu dekonstruieren und Bildung stattdessen radikal, systemisch neu zu denken.

Ebenfalls in Indien wurde 2010 die Swaraj-Universität7 gegründet. Dort können junge Menschen zwischen 16 und 30 in einem selbstentworfenen Lernprogramm studieren; sie werden »khojis«, Suchende, genannt. Jede Person ist zunächst einmal aufgefordert, den eigenen Leidenschaften, Zwecken, Bedürfnissen und Gaben im Kontext des je eigenen Lebensumfeldes und in einem neuen Bezug zur Wildnis nachzugehen. Die Fülle der Commons wird hier eingeklagt als eine »Fähigkeit«, die sich aus den verschiedensten Wissenssystemen generiert – im gemeinsamen Lernen mit anderen »khojis«, mit – Frauen und Männern – Kunsthandwerker, Heiler, Fischer, Kleinbauern, Aktivisten, mit Straßenkindern, Großmüttern etc.

Formelle Qualifikationen sind nicht gefordert, überhaupt werden die »Abschlüsse« als Instrument der Einhegung deutlich kritisiert. Als »Gebühr« sind die »khojis« gebeten beizutragen, was sie können, um die laufenden Kosten zu decken oder anderen in der Zukunft diese Lernmöglichkeit zu bieten. Um Commons auch erfahrbar zu machen, bietet die Universität den Yatra-Zyklus an. Das heißt, dass eine Gruppe junger Leute ohne Geld, ohne digitale Technologien, ohne Medizin und ohne Planung eine Woche gemeinsam in ländliche Gegenden reist.8

In Ciudad Bolivar, einem Stadtteil im Südwesten der kolumbianischen Hauptstadt Bogota, liegt Libertatia.9 Es ist ein Sozialzentrum für die Kinder und Jugendlichen der am meisten benachteiligten Schichten der Stadtbevölkerung. Libertatia ist als Lern- und Dialograum zum Austausch von Wissen konzipiert und wird von den Jugendlichen selbst verwaltet. Dort gibt es weder Lehrer noch Schüler, aber es gibt Workshops, in denen die Beteiligten kritisches Denken lernen, um ihre Lebensbedingungen zu verändern.

Das Purple-Thistle-Zentrum10 wurde im Jahr 2001 im kanadischen Vancouver als Alternative zur Schule gegründet und wird ebenfalls von den Jugendlichen selbst geleitet, der Schwerpunkt liegt auf Kunstprojekten und gemeinschaftlichen Aktivitäten, durch die die Jugendlichen Selbstorganisationserfahrungen machen können.

Der Otherwise Club in London11 existiert seit über 20 Jahren als Ort selbstbestimmten Lernens; er war von Müttern für Kinder und Jugendliche gegründet worden. Seit 2011 kooperiert der Otherwise Club mit der London Community Neighbourhood Co-operative (LCNC), einem ambitionierten Projekt um nachhaltige Praktiken in vielen Lebensbereichen zum Beispiel im Wohnungsbau, im Arbeitsleben oder in den Gemein- und Nachbarschaften selbst zu unterstützen.

Es gibt die Erfahrungen von The Learning Exchange, einem Projekt, das 1971 im US-amerikanischen Evanston, Illinois, seinen Anfang nahm und rasch in mehr als 40 Gemeinden Fuß gefasst hatte. Es ist eng an die Ideen von Ivan Illich, der »Entschulung der Gesellschaft« (Illich 1971) angelehnt. Was die Einzelnen lernen wollten, wurde auf kleinen Karten festgehalten, ebenso das, was sie lehren könnten und was sie teilen möchten. Bereits nach zweieinhalb Jahren hatten sich 15.000 Menschen mit 2.000 Themen registriert. Heute gibt es The Learning Exchange in vielen Bundesstaaten der USA.

Zudem existieren Initiativen und Projekte, die sich anschicken, auch die akademische Bildung zu rekonzeptualisieren. Die Sharing School in Italien12 ist dafür ein Beispiel. Sie reagiert auf den zunehmenden Trend der Ko-Produktion und des Teilens und legt dabei einerseits Wert auf die Frage, was Teilen wirklich heißt, und versucht andererseits, die Städte für diesen Gedanken zu öffnen, so dass eine Ökonomie »von allen und für alle« gefördert wird.

In Deutschland ist mit der Cusanus-Hochschule13 seit 2014 eine ambitionierte akademische Bildungsstätte am Start, die dem Gemeinschaftsgedanken verpflichtet ist. Das drückt sich unter anderem in der Kampagne »Denken Schenken« aus, in der die Studierendengemeinschaft der Hochschule gemeinsam Unterstützung für ihre Mitglieder und die jeweils folgenden Studiengänge einwirbt. Über die Verteilung der Mittel unter den Studierenden entscheidet sie selbst. In ihrem Leitbild formulieren die Initiatorinnen und Initiatoren den Gedanken der »Befähigung zur Selbstbildung«. Das heißt: »Innerhalb der sozialen Gemeinschaft soll sich jede/r in moralischer und intellektueller Freiheit selbst bilden dürfen.« Dazu gehöre, dass je eigene Fach »über die reine Wissensvermittlung hinaus reflektieren und schöpferisch entwickeln« zu lernen und »zum interdisziplinären Dialog sowie zur gestalterischen Teilhabe an Gesellschaft statt zum engen Spezialistentum« anzuregen. Kurz vor Beendigung dieses Beitrags erhielt die Cusanus-Hochschule ihre staatliche Anerkennung.

So erleben wir es auch in Caminos Abiertos: Lernen muss Sinn ergeben: Für unser Leben und für das der Menschen, mit denen wir in Beziehung stehen.

Literatur

Esteva, G. (2001): Más allá de la Educación«, Beitrag zum Seminar »Jugend und Bildung«, Monterrey, September 2001.

–– (2007): »Reclaiming Our Freedom to Learn« in: YES! Magazine, November 2007, www.yesmagazine.org

Illich, I. (1978): La Convivencialidad, Morelos, Mexiko.

–– (1971 [2003]): Deschooling Society, World Perspectives. Band 44, Harper and Row, New York. (dt. 2003: Entschulung der Gesellschaft, Eine Streitschrift, beck).

Holt, J. (1976): Instead of Education, Dutton.

Zaldívar, J.I. (2007): »La otra educación en territorio zapatista«, Cuadernos de Pedagogía (Pädagogische Hefte), Nr. 371, Januar 2007, Spanien.

Claudia Gómez-Portugal aus Mexiko ist Mitgründerin der Organisation SAKBE – Commons für den Wandel sowie der Initiative Freie Lerngemeinschaften für das Leben. Sie arbeitet zu den Themen: Kommunikation für sozialen Wandel, freies Wissen, Lernnetzwerke und Gemeinschaftsbildung.

1 | In Tepoztlán werden auf diese Weise vor allem Häuser gebaut. Eine Gruppe baut zunächst gemeinsam das Haus der Einen, anschließend des Anderen und so weiter. Der Name greift die indigene Tradition des »tequio« auf, der die Koordination und Erbringung von Tätigkeiten für die Gemeinschaft bezeichnet.

2 | Das ist in Mexiko nicht selbstverständlich. Weder die Pflasterstraßen Tepoztláns noch die engen Gehsteige, so überhaupt vorhanden, eignen sich dafür (Anm. der Hg.).

3 | Der Schulreformer John Holt prägte diesen Begriff in den 1970er Jahren; er schrieb Bücher wie How Children Learn (1967) oder The Underachieving School (1970) und versuchte dabei, die Perspektive der Schüler einzunehmen, was ihn zu der Erkenntnis brachte: »Was im Unterricht passiert, ist nicht das, was die Lehrer denken« (zitiert nach: Ian Lister: The Challenge of Deschooling, in: Lister, I. (Hg.): Deschooling. A Reader, London 1974, S. 2). Nachdem Holt schulreformerische Ansätze als gescheitert ansah, entschied er, direkt mit den Familien an der »Entschulung« der Kinder zu arbeiten. Die Begriffe »unschooling« (nach Holt) und »deschooling« (nach Illich) unterscheiden sich voneinander. »Unschooling« ist eher als konkrete, nicht verschulte Lernmethode zu verstehen. »Deschooling« als gesellschaftsveränderndes Konzept. »Unschooling« ist eine Form des »deschooling«, was umgekehrt nicht notwendigerweise gilt (Anm. der Hg.).

4 | Formalisiert im Mai 2001.

5 | Siehe dazu den Beitrag von Marianne Gronemeyer zu Beginn dieses Bandes (Anm. der Hg.).

6 | Siehe: www.swaraj.org/shikshantar/ (Zugriff am 15. Mai 2015).

7 | Siehe: www.swarajuniversity.org (Zugriff am 15. Mai 2015).

8 | Vielen Dank an Manish Jain für die Unterstützung in der Recherche dieser Informationen.

9 | Siehe: www.centrosociallibertatia.org (Zugriff am 15. Mai 2015).

10 | Siehe: www.purplethistle.ca (Zugriff am 15. Mai 2015).

11 | Siehe: www.theotherwiseclub.org.uk/index.php (Zugriff am 15. Mai 2015).

12 | Siehe: http://www.sharingschool.it/ (Zugriff am 15. Mai 2015).

13 | Siehe: www.cusanus-hochschule.de/ (Zugriff am 15. Mai 2015).