Die Welt der Commons

Muster des gemeinsamen Handelns

Der Urquell der Fische

Ontologische Kollisionen auf See

Anne Salmond

Wenn etwas schiefgeht, werden nicht nur unsere Strände ruiniert, sondern die Strände aller.

Tweedie Waititi

Im April 2011 stach eine kleine Flotte Protestboote von der östlichen Bay of Plenty in Neuseeland aus in See. Mit dabei war das Fischerboot San Pietro, das der ortsansässigen Verwandtschaftsgruppe (»Iwi«) namens Te Whanau-a-Apanui gehörte. Iwi-Mitglied Elvis Teddy fuhr als Skipper. Auch Rikirangi Gage, einer der Stammesältesten, war mit an Bord. Damals führte das Spezialschiff Orient Explorer im Auftrag des brasilianischen Erdölunternehmens Petrobras eine seismische Vermessung des Raukumara-Beckens durch, das etwa 300 Kilometer nördlich von East Cape liegt. Hier befinden sich auch die angestammten Fischgründe der Te Whanau-a-Apanui. Im Jahr 2010 hatte Petrobras die Genehmigung der neuseeländischen Regierung erhalten, in diesen Gewässern nach Öl zu suchen. Die führenden Köpfe der Iwi waren empört, als sie von dieser Explorationsgenehmigung aus der Presse erfuhren. Schließlich hatte Königin Victoria im Jahr 1840 mit ihren Ahnen den Vertrag von Waitangi unterzeichnet und darin den »vollständigen, exklusiven, ungestörten Besitz ihrer Ländereien und Anwesen, Wälder, Fischgründe und anderen Besitztümer [garantiert], … solange es ihr Wunsch und Anliegen ist, dieselben in ihrem Besitz zu halten« (Waitangi-Vertrag, Artikel 2). Erst im Jahr 1975 wurde das Waitangi-Tribunal eingerichtet, das Vertragsbrüche prüfen soll. Seitdem hat das Tribunal im ganzen Land Anhörungen abgehalten und ist zahlreichen Beschwerden von Maori-Gruppen nachgegangen, auch in Bezug auf die Fischerei und die Nutzung des Meeres. Es hat die entsprechenden Berichte und Empfehlungen veröffentlicht und dazu beigetragen, dass mehrere Regierungen in diesem Zeitraum verschiedenen Iwi im ganzen Land Entschuldigungen sowie Geld- und Sachabfindungen angeboten haben.

Als die Führung der Te Whanau-a-Apanui mit dem Premierminister zusammen kam, um sich gegen die Ölbohrungen in ihren angestammten Gewässern auszusprechen, drückte der Premier zwar Verständnis aus, doch er weigerte sich, die Genehmigung zurückzuziehen. Der Stamm war fest entschlossen, die eigene Sichtweise deutlich zu machen und bat öffentlich um Unterstützung. Die Umweltgruppe Greenpeace reagierte und sandte Protestboote zur Bay of Plenty.

Die Wut über die Erdölexploration nahm zu, plötzlich waren in den Fenstern und an den Zäunen entlang der Straße zwischen Opotiki und Gisborne Schilder und Plakate zu sehen. Mahnfeuer wurden angezündet und große »Haka« (Kriegstänze) an den Stränden aufgeführt. Im April 2011 schwammen Protestierende von Greenpeace unter den Augen der Luftwaffe, der Marine und der Polizei der Orient Explorer in den Weg. Die Polizei erteilte Verwarnungen gemäß dem Seeschifffahrtsgesetz und befahl den Booten und ihren Besatzungen, 200 Meter Entfernung zum Schiff einzuhalten. Die Überschreitung sollte mit einer Strafe in Höhe von 10.000 Neuseeländischen Dollar oder bis zu einem Jahr Gefängnis geahndet werden (Hill 2011). In einem Medieninterview drückte Tweedie Waititi von den Te Whanau-a-Apanui ihre Überraschung über die Gefühle ihres Volks aus: »Wir sind die friedfertigste Iwi der Welt. Und ich werde Ihnen was sagen: Die Regierung hat eine Art ›Taniwha‹ (Schutzkreatur) zum Leben erweckt. Es überrascht schon sehr zu sehen, dass mein Volk in dieser Art und Weise reagiert. Wir sind in dieser Hinsicht alle sozusagen jungfräulich. Wir kämpfen nie« (Waititi 2011).

Wie andere Neuseeländerinnen und Neuseeländer hatten die Mitglieder des Stammes viel von der Explosion der Deepwater Horizon im Golf von Mexiko erfahren und natürlich von ihren Folgen für das Meer, die Meeresbewohner, die Küsten, Mündungsgebiete und die Existenzgrundlagen der ortsansässigen Bevölkerung. Sie fürchteten eine ähnliche Katastrophe in ihren angestammten Gewässern. Tweedie sprach auch von ihrer Sorge um Moki, den heiligen Fisch, der jedes Jahr von seiner Heimat Hawaiki in die Gewässer der Te Whanau-a-Apanui migriert. »Dort ist die Heimat des Moki, genau dort, wo sie bohren wollen. Jedes Jahr im Juni erscheint ein Stern am Himmel, mit Namen Autahi; das ist unser Zeichen, dass der Moki heimgekehrt ist.« Einige Gemälde im Speisesaal und im geschnitzten Versammlungshaus in Kauaetangohia marae1 in Whangaparaoa erzählen die Geschichte des Moki. Ich hatte bereits Jahre zuvor von diesem heiligen Fisch gehört, als ich mit Eruera Stirling, einem führenden Stammesältesten der Iwi, an einem Buch über seine Vorfahren und sein Leben arbeitete. Er erzählte mir von seiner Jugend, als Manihera Waititi, ein Stammesältester, ihn und seinen älteren Bruder einlud, den »ersten Fisch« zu fangen und damit die Moki-Saison zu eröffnen. Bei dieser Gelegenheit gingen die beiden Jungen vor Sonnenaufgang zum Whangaparaoa-Fluss und bestiegen Maniheras Boot. Mit einer ablandigen Brise im Rücken führte sie der Älteste zum Moki-Fischgrund etwa hundert Meter vor dem Strand von Ratanui, wo die Reisekanus ihrer Vorfahren an Land gekommen waren. Nachdem sie mehrere Moki gefangen hatten, machten sie sich zu einem Tiefwasserfischgrund auf, wo sie weitere Exemplare fingen. Zurück an Land, gab der alte Mann den beiden Jungen den Moki. Sie sollten ihn mit nach Hause nehmen, denn ihrer Mutter Mihi Kotukutuku, sollte als Stammesoberhaupt der erste Fisch präsentiert werden.

Eruera zufolge werden die Gewässer vor seinem Heimatdorf »Te Kopua a Hine Mahuru« genannt, die tiefen Gewässer von Hine Mahuru, der Vorfahrin seines Volkes. Die dortigen Fischgründe und Muschelbänke sind mit dem geschnitzten Versammlungshaus an Land verknüpft. Auch das Haus ist nach dieser hochgeborenen Frau benannt, deren »Mana« (Macht der Vorfahren) sich über Land und Meer erstreckte. Der Fels Whangaipaka steht in diesen Gewässern und wird von einem Kai-tiaki (Hüter), einem großen Stachelrochen, bewacht. Wenn Fremde ohne Erlaubnis dorthin gingen, fegte eine große Welle mit dem Stachelrochen über den Fels und ertränkte die Eindringlinge. Eruera erzählte mir, wie sorgfältig die Muschelbänke und Fischgründe zu seiner Zeit gehütet wurden:

»Jeder Landstrich hatte seine eigenen Muschelbänke, die den dort ansässigen Menschen vorbehalten waren. Wenn ein Fremder beim Muschelernten beobachtet wurde, musste er sich vorsehen. Käme er an Land, wäre er ein toter Mann. Fischen war stark ›tapu‹, das heißt: von der Gegenwart der Vorfahren durchdrungen; und jede Familie hatte ihre eigenen Fischgründe. Dort durfte niemand anderes fischen, sonst gäbe es eine große Auseinandersetzung. Die alten Menschen achteten sehr genau darauf, wie man mit dem Meer umging; niemand durfte draußen auf den Booten essen oder rauchen. Nahm ein Mann Essen mit, wenn er zum Fischen herausfuhr, würde er den ganzen Tag mit leerem Angelhaken und leerer Leine dasitzen. Manchmal, wenn die Fischerei sehr schlecht lief, begannen die Menschen nach den Ursachen zu forschen, und wenn sie den Schuldigen gefunden hatten, würde er große Schwierigkeiten bekommen, weil er das heilige ›Tapu‹-Gesetz gebrochen hatte. Die Menschen würden ihn windelweich prügeln, und er durfte eine ganze Zeit lang nicht aufs Meer fahren. Wenn so etwas zu Hause passierte, würdest du von den Menschen stigmatisiert« (Stirling 1980: 106).

Angesichts dieser intensiven Verbindung zwischen den Menschen, ihrem Land und ihren Gewässern überrascht es nicht, dass die Te Whanau-a-Apanui empört waren, als die Regierung ohne Vorwarnung einer Ölgesellschaft die Genehmigung erteilte, in ihren angestammten Gewässern nach Bodenschätzen zu suchen. Als Rikirangi Gage sich als hochrangiger Führer der Iwi der Protestflottille anschloss, ignorierte die Regierung diese Geste. Einige Tage später fuhr das Fischerboot San Pietro quer vor den Bug der Orient Explorer. Es zog dabei Angelleinen für den Thunfischfang sowie miteinander vertäute Bojen hinter sich her. Als der Kapitän des Vermessungsschiffs sie aufforderte fernzubleiben, erwiderte Gage: »Wir bleiben hier. Wir werden fischen.« Kurz darauf enterten Polizeibeamte das Boot, nahmen den Skipper Elvis Teddy fest und lasteten ihm einen Verstoß gegen das Seeschifffahrtsgesetz an. Zurück an Land verteidigte sich Teddy; er habe lediglich sein im Vertrag von Waitangi garantiertes Recht ausgeübt, in seinen angestammten Gewässern zu fischen. Wenn sein Boot in die Nähe der Orient Explorer geraten war, dann sei dies die Schuld des Kapitäns des Vermessungsschiffs, der das Fischerboot nicht gemieden habe (Woolford 2013). Teddy wurde belangt. Während seines Verfahrens vor der ersten Instanz, dem Auckland District Court, argumentierten seine Anwälte, dass das Seeschifffahrtsgesetz nicht gelte, weil die Konfrontation außerhalb der 12-Meilen-Zone vor Neuseeland stattgefunden habe. Der Richter stimmte dieser Argumentation zu, und das Verfahren wurde eingestellt. Als die Polizei jedoch in die nächste Instanz ging, befand das Gericht, dass die San Pietro als neuseeländisches Boot auch auf hoher See unter neuseeländische Gerichtsbarkeit falle. Obwohl es dazu im Seeschifffahrtsgesetz keine spezifische Bestimmung gebe, müsse das Gesetz auch über die 12-Meilen-Grenze hinaus gelten, da sonst die neuseeländische Regierung nicht in der Lage sei, ihren internationalen Verpflichtungen gemäß dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 nachzukommen (Webster und Monteiro 2013).

Nach diesem Urteil erklärte Teddys Anwalt in einem Statement, dass die neuseeländische Regierung mit der Bohrgenehmigung in den Gewässern der Te Whanau-a-Apanui – ohne den Stamm vorab zu konsultieren – nicht nur den Vertrag von Waitangi, sondern auch die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker, die Neuseeland unterzeichnet hatte, gebrochen habe. Er begründete den Rechtsbruch zudem damit, dass die Regierung Marine, Luftwaffe und Polizei eingesetzt habe, um Teddy und Gage daran zu hindern, in ihren angestammten Gewässern zu fischen (Te Whanau-a-Apanui 2012). Kurz darauf verschärfte die Regierung die Kontrolle über neuseeländische Schiffe auf hoher See noch mehr, indem sie ein heiß debattiertes Gesetz verabschiedete, das Proteste auf See in der Nähe von Ölerkundungsschiffen verbot (Devathasan 2013).

Der Konflikt zwischen Te Whanau-a-Apanui einerseits und Petrobras sowie der Krone andererseits war nicht nur eine physische Konfrontation. Er war vielmehr eine »ontologische Kollision«, ein Konflikt zwischen verschiedenen »Welten« oder Seinsweisen – in dem unterschiedliche Ansprüche auf das Meer, unterschiedliche Vorstellungen von kollektiven Rechten sowie unterschiedliche Freiheitsbegriffe und dessen Schranken verhandelt wurden. Das ist nicht einfach eine Konfrontation zwischen verschiedenen Kulturen oder Ethnien, sondern eine komplexe Geschichte, die in den Beteiligten sehr unterschiedlich wirkt.

Die See als Protestschauplatz

Viele Neuseeländer erinnerte die verfahrene Situation zwischen der San Pietro und dem Vermessungsschiff an eine Episode aus dem Jahr 1973, als die neuseeländische Regierung versuchte, Frankreichs Atomtests im Pazifik zu stoppen. Sie entsandte zwei Fregatten samt einem Kabinettsmitglied zum Moruroa-Atoll in den Gesellschaftsinseln, wo die Tests durchgeführt wurden. Damals wurde eine Greenpeace-Jacht nahe Moruroa geentert und der Skipper von französischen Marinesoldaten tätlich angegriffen.

Als die neuseeländische Regierung schließlich 1984 das Land zur atomwaffenfreien Zone erklärte und sich weigerte, Besuche von atomkraftgetriebenen US-amerikanischen Schiffen zu erlauben, wurde Neuseeland aus der ANZUS-Allianz ausgeschlossen.2

Ein Jahr später versenkten französische Agenten im Hafen von Auckland das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior, das bald darauf eine andere Protestflottille nach Moruroa hätte anführen sollen (Thakur 1986).

Es zeigt sich, dass in Neuseeland die Freiheit, auf See zu protestieren, eng mit der nationalen Identität und der Sorge um die Umwelt verknüpft ist. Aus Sicht vieler Neuseeländerinnen und Neuseeländer standen die Te Whanau-a-Apanui in dieser Tradition, als ihr kleines Schiff gegen das große Vermessungsschiff antrat, um den Ozean zu schützen. Doch für viele Mitglieder der Te Whanau-a-Apanui ging es eher um den Schutz ihrer Verwandschaftsgruppe und ihres Mana. Die Besatzung der San Pietro machte ihr Recht geltend, ihre angestammten Fischgründe gegen unerwünschtes Eindringen zu schützen, und zwar auf Grundlage des garantierten »vollständigen, exklusiven, ungestörten Besitz[es]« derselben gemäß Artikel 2 des Vertrags von Waitangi. Zugleich ging es aus Sicht der Regierung und vieler anderer Neuseeländerinnen und Neuseeländer darum, die Souveränität der Krone aufrechtzuerhalten, wie auch das Recht der Regierung, die 200 Meilen breite ausschließliche Wirtschaftszone zu verwalten, Erdölunternehmen Erkundungsgenehmigungen zu erteilen und Ölsuchende vor Interventionen durch Protestboote zu schützen, auch vor solchen der Iwi.

Und doch war es keine ethnische Konfrontation. Viele der Protestierenden waren keine Maori, Tweedie Waititi beschreibt es so: »Wenn etwas schief geht, werden nicht nur unsere Strände ruiniert, sondern die Strände aller. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht nur Maori sind, die eine Verbindung zum Meer haben.« Außerdem liebäugelten auch einige Iwi mit der Idee, die Ölexploration zu unterstützen. Tweedie weiter: »Wie unser Anwalt gesagt hat, steht unsere Mana nicht zum Verkauf, und wir sind nicht käuflich, für kein Geld der Welt. Einige Iwi könnte man vielleicht ködern. Aber diese Iwi beißt nicht an.«

Ich möchte diesen ontologischen Kollisionen nachgehen. Was sagen sie uns über unterschiedliche Beziehungen zwischen Menschen und Meer in Neuseeland und was über deren verschiedenen Vorstellungen von »Commons«? Dazu möchte ich einige der tiefsitzenden, als selbstverständlich vorausgesetzten Vorannahmen beleuchten, die sich hinter den Positionen der verschiedenen Protagonisten verbergen.

Der Urquell der Fische: Der Ozean in Te Ao Maori

In den Worten Marshall Sahlins ist »das Universum der [Maori] […] eine gigantische Verwandtschaft, eine Genealogie … eine veritable Ontologie« (Sahlins 1985: 195). Te Ao Maori (die Welt der Maori) wird von Whakapapa geordnet – weitreichende, komplexe Beziehungsnetzwerke, in denen alle Lebensformen gegenseitig definiert und verknüpft sind. Sie alle sind durch »hau« (Atem, Wind, Lebenskraft, vitale Essenz) animiert. Elsdon Best, ein neuseeländischer Ethnologe, der sein Leben lang die Sitten und Gebräuche der Maori studierte, bat 1907 einen Ältesten namens Tamati Ranapiri in einem Brief, ihm die Vorstellung von »hau« zu erläutern. Dieser antwortete so:

»Dieses hau ist nicht der Wind, der weht, überhaupt nicht. Erlauben Sie mir, Ihnen das sorgfältig zu erklären. Nun, Sie besitzen einen Gegenstand, der Ihnen viel bedeutet (taonga), und Sie geben ihn mir, ohne dass wir beide einen Preis dafür festlegen. Nun gebe ich den Gegenstand einem anderen. Möglicherweise erinnert sich dieser Mensch nach einer langen Zeit, dass er diesen taonga hat und dass er mir ein Gegengeschenk machen sollte, und tut das. Der Gegenstand, den er mir gibt, ist das hau des taonga, der mir vorher von Ihnen gegeben wurde und den ich dann dem Anderen gegeben habe. Ich muss Ihnen diesen nun aushändigen. Es wäre nicht korrekt, wenn ich ihn behielte. Egal ob es ein sehr guter taonga oder ein schlechter ist, ich muss ihn Ihnen geben, weil es ein hau von Ihrem taonga ist. Würde ich ihn behalten, dann würde mich ein schlimmes Übel befallen, sogar der Tod. Dies ist das hau« (Ranapiri 1907).

Er befindet sich im Herzen des Lebens selbst. Wenn eine Person ihren Verpflichtungen in solchen Austauschbeziehungen nicht nachkommt, wird ihre Lebenskraft bedroht. Während Geschenke oder Beleidigungen angetrieben von der Kraft des hau hin- und zurückgereicht werden, werden Beziehungsmuster geschmiedet und verwandelt, zum Guten wie zum Schlechten.

Elsdon Bests Schriften über Ranapiris Darstellung des »hau« zogen den französischen Soziologen Marcel Mauss in seinen Bann. 1923/1924 publizierte dieser Die Gabe, ein Klassiker, in dem er den Austausch von Geschenken in verschiedenen Gesellschaften inklusive seiner eigenen, untersuchte. Mauss zitierte Ranapiri, und er verglich den maorischen Begriff des »hau«, der hauptsächlich auf Großzügigkeit beruht, mit der utilitaristischen Annahme des zeitgenössischen Kapitalismus, dass Eigennutz der Antrieb sämtlicher Transaktionen sei. Dies ergäbe, so Mauss’ Argument, eine verengte, unvollständige Sicht darauf, wie die zwischenmenschlichen Beziehungen das soziale Leben gestalten.

Aus seiner Sicht erzwingt das »hau«, der »Geist des geschenkten Gegenstands«, ein Gegengeschenk, was wiederum Solidarität erzeugt. Zwar ist seine Erörterung des Konzepts scharfsinnig, und doch kratzt es nur an der Oberfläche.

In der maorischen Philosophie treibt »hau« die ganze Welt voran, nicht nur die Gemeinschaften, und es greift weit über den Austausch von Geschenken zwischen Menschen hinaus. Den Tohunga (Expertinnen und Experten) in den Whare wananga (Schulen des Lernens) zufolge entwickelte sich »hau« in den Anfängen des Kosmos. Nach einem von Te Kohuora aufgenommenen Gesang, zum Beispiel, beginnt die Welt mit einem Energieimpuls, der Denken, Erinnern und Wünschen erzeugt (Te Kohuora 1854). Dem folgen die »Po«, lange Äonen der Dunkelheit. Aus ihnen kommt das »Kore«, ungebundenes, unbesessenes Nichts, das Saatbeet des Kosmos, das ein Zeitgenosse von Best als »die Leere oder Negation, [die] jedoch die Potentialität von allem enthält, das danach kommen könnte«, beschrieb (Tregear 1891: 168). In dieser Leere beginnen »hau ora« und »hau tupu«, die Winde des Lebens und des Wachstums, sich zu erheben und neue Phänomene zu erzeugen. Der Himmel entsteht, und dann der Mond und die Sterne, das Licht, die Erde, der Himmel und das Meer. Als der Waldahne Tane die Welt des Lichts und des Lebens schafft, indem er die Erde und den Himmel auseinanderzwingt, attackiert sein Bruder Tawhiri, der Windahne, ihn sowie seine Kinder, die Bäume, indem er ihre Äste in Stücke schlägt. Er greift auch die Ahnen der Wurzelfrüchte an und zwingt ihre Nachkommen, sich im Boden zu verstecken. In diesem kosmischen Kampf ist Tu, der Ahne der Menschen, der einzige, der in der Konfrontation mit dem Wirbelwind Tawhiri Rückgrat zeigt. Mit seinem Mut verdient er für seine Nachkommen das Recht, die Nachkommen seiner Brüder zu ernten – Vögel, Wurzelfrüchte, Waldnahrungsmittel und -bäume, Fische, Krebse und Schalentiere.

»Utu«, das Prinzip der Gegenseitigkeit, treibt die Interaktionen zwischen Individuen und Gruppen und allen anderen Lebensformen in der maorischen Welt voran, mit dem Ziel eines (stets fragilen) Gleichgewichts. Dabei wird »hau« unter und zwischen Menschen und anderen Lebensformen ausgetauscht, was ihre Schicksale miteinander verknüpft.

Individuen werden also durch ihre Beziehungen definiert, Subjekt und Objekt sind nicht radikal voneinander getrennt. Das verdeutlicht, dass jegliche Vorstellung der Commons, die diese cartesianische Trennung voraussetzt, in einer modernistischen Logik des Kosmos verwurzelt ist, die keine universelle Gültigkeit für sich beanspruchen kann. Im maorischen Leben spiegelt sich das Vermengen des Selbst und des Anderen in vielerlei Hinsicht. Wenn etwa maorische Menschen einander begrüßen, drücken sie ihre Nasen aneinander und atmen, wobei sie ihren »hau« vermengen. Menschen sprechen von sich als »Ahau« (»ich selbst«), und wenn »Rangatira« beziehungsweise Anführerinnen oder Anführer von einem Ahnen oder einer Ahnin in der ersten Person sprechen, dann deswegen, weil sie das »Kanohi Ora« (»lebende Gesicht«) dieses Ahnen oder dieser Ahnin sind. Anderseits wird die Verweigerung, sich auf diese Formen der Gegenseitigkeit einzulassen, »hau whitia« genannt (»sich abwendender ›hau‹«). »Auhauaitu« (»Schaden am ›hau‹«) manifestiert sich als Krankheit oder Unglück, was dem Zusammenbruch des Gleichgewichts des gegenseitigen Austauschs gleichkommt. Auch die Lebenskraft ist dann betroffen.

Das alles gilt auch für die Beziehungen von Menschen zu anderen Lebensformen. Sollten zum Beispiel die Beziehungen zwischen den Menschen und dem Meer nicht ausgeglichen sein, wird sowohl das »hau« des Ozeans als auch der »hau« der Menschen darunter leiden. Das veranschaulichen Geschichten über die See, wie sie Timi Waata Rimini, einer der Ältesten der Te Whanau-a-Apanui, erzählt. Ihm zufolge ist der Sohn des Ahnen Pou vor vielen Generationen im Motu-Fluss ertrunken. Als Pou sich aufmachte, um seinen Sohn zu suchen, kam er dorthin, wo der Meeresahne Tangaroa lebte. Er kam zum »Urquell der Fische«, wo es von Arten nur so wimmelte. Dort fragte er den Meeresahnen, ob er seinen Sohn genommen habe. Tangaroa stritt ab, doch Pou wusste, dass er log, und bat ihn, beim »Tangi« (Begräbnis) seines Sohnes dabei zu sein. Als er zur Bay of Plenty zurückkehrte, sagte Pou den Menschen seines Volks, sie sollten ein großes Netz knüpfen. In jenem Sommer näherte sich ein riesiger Schwarm Lachsbarsche (»Kahawai«) der Küste und eskortierte den Meeresahnen zum Begräbnis. Auf ein Zeichen hin befahl Pou seinem Volk, das große Netz auszuwerfen. Tausende der Kinder Tangaroas (»die Kahawai«) wurden gefangen und den vielen Menschen, die zur Trauer um Pous Sohn zusammengekommen waren, zum Essen gereicht. Rimini (1901) beschreibt, wie jedes Jahr, wenn die Kahawai im Mündungsgebiet des Motu-Flusses ankamen, ein junger Mensch, der/die Häuptling werden sollte, ausgesandt wurde, um drei Kahawai zu fangen. Diese wurden Pou und dem oder der hohen Häuptling der Region angeboten. Indem sie die »Mana« des Meeresahnen würdigten, eröffneten diese Rituale der »ersten Fische« die Saison und schützten die Fruchtbarkeit und Üppigkeit des Ozeans.

Andere lokale Sitten und Gebräuche waren mit der »Kehe« beziehungsweise »Granitforelle« verbunden, einem heiligen Fisch, der sich häufig in den felsigen Kanälen der Riffe aufhielt und gewöhnlich im »Kohuwai«, einer bestimmten Seetangart, graste. Er wurde mit mehreren Methoden gefangen. Eine davon war diese:

Man formte mit Steinen Kanäle im Riff und wartete ab, bis der »Kohuwai« nachgewachsen war, um dann die »Kehe« während des Grasens mit einer Reuse einzuholen. Oder man benutzte einen Stab, um sie in die Reuse zu treiben. Als die Frau des Häuptlings in Omaio schwanger wurde, schrieb Te Rangihiroa, wurde der heilige Bann auf den berühmten Kehe-Fischgrund Te Wharau, aufgehoben, und die Männer mit Reusen geschickt, um auf bestimmten namentlich gekennzeichneten Felsen zu stehen. Sobald der Experte bzw. die Expertin »Rukuhia!« rief, sprangen sie kopfüber in die Kanäle, schwammen unter Wasser und trieben die »Kehe« in einem freudigen wilden Durcheinander in die Reusen. Danach wurden die Fische gekocht und der Stammesführerin als Delikatesse präsentiert (Te Rangihiroa 1926).

In dieser Onto-Logik lebte und atmete das Meer selbst. Atmete »Te Parata«, ein mächtiges Wesen im Herzen des Ozeans, aus, setzten die Gezeiten ein, und Kinder wurden geboren. Atmete es ein, bildete sich ein großer Wasserstrudel, der die Kanus verschluckte. Starb ein großer oder eine große »Rangatira«, so erhob sich zum Abschied mitunter folgender Gesang: »Die Wirbelböe ist vorüber, der Sturm hat sich verzogen, Parata ist vergangen, der große Fisch hat seine Wohnung verlassen« (Colenso 1887: 422).

Hier wird in der kollektiven Rechtsvorstellung die Vitalität anderer Lebensformen anerkannt – seien es Fische, Flüsse, Berge oder Land. Im jeweils konkreten Fall werden die Rechte zwischen ihnen und den Menschen auf verschiedenen Ebenen ins Verhältnis zueinander gesetzt und verteilt, verschachtelt und verknüpft. Solche Vorstellungen ermöglichen die Kontrolle der Nutzungsrechte am Meer entweder entlang der Verwandtschaftslinien oder entlang des Gabentauschs. Heute sind solche Denkweisen in Neuseeland rechtlich anerkannt. So hat die Krone 2014 den ikonischen Fluss der Whanganui Iwi gemäß dem Vertrag von Waitangi in einer Streitschlichtung als Rechtssubjekt verstanden. In einer Auseinandersetzung mit den Tuhoe, einem Volk im Binnenland, erfuhr ihr angestammtes Land Te Urewara ebensolche Anerkennung, infolgedessen wurden gemeinsame Bewirtschaftungsregime mit der Krone und den regionalen Behörden eingerichtet.

Derartige Innovationen des Rechts folgen in mehrfacher Hinsicht zeitgenössischen Auffassungen, denen zufolge Menschen und andere Phänomene (etwa das Meer) in komplexe interaktive Systeme eingebunden und auf jeder Ebene eng miteinander verflochten sind.

Der Vorteil derartiger Arrangements ist, dass neben den Interessen der Menschen auch dem Wohlergehen eines Sees, eines Flusses oder des Meeres rechtliche Priorität bei der Zuweisung von Rechten an Ressourcen und Bewirtschaftungsregimen eingeräumt werden kann.

Das Meer in der Aufklärung

Westliche und maorische Auffassungen vom Meer sind sowohl divergent als auch resonant. Als im Oktober 1769 Kapitän Cooks Schiff Endeavour an der Ostküste der neuseeländischen Nordinsel ankam und die ersten Europäer an Land gingen, befand sich auf seinem Schiff eine bunte Truppe von Vertretern der europäischen Aufklärung mit kollidierenden Kosmologien im Kopf. Es war eine wissenschaftliche Expedition, die einerseits von der Royal Society of London gesponsert worden war, um auf Tahiti den Venusdurchgang zu beobachten, und andererseits von der Admiralität, um Terra Australis zu finden, den Unbekannten Südlichen Kontinent. Es wäre auch hier falsch, die der Landung folgenden Begegnungen als binäre Zusammenstöße zwischen zwei »Kulturen« aufzufassen. Genau wie heute, gab es auch damals vielfältige Denkweisen, sowohl bei den Maori, als auch bei den Europäern.

So kann ein Strang des Denkens der Aufklärung mindestens bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgt werden, als der Philosoph Descartes eine neue, so kraftvolle wie berauschende Vision der Realität hatte. In Descartes Traum wurde das Cogito – das »denkende Selbst« bzw. das Subjekt – zum Auge der Welt, die wiederum zum Objekt der Untersuchung wurde. Die cartesianische Unterteilung in Geist (»res cogitans«) und Materie (»res extensa«), in Subjekt und Objekt, ist historisch wie kulturell eingebettet. Im Zuge der europäischen Aufklärung, als die Kultur von der Natur getrennt wurde, fingen die Naturwissenschaften an, sich von den Geistes- und Sozialwissenschaften weg zu entwickeln (Descola 2013). Während die Dinge voneinander getrennt und in einzelne Einheiten zerlegt wurden, wurden sie objektifiziert und klassifiziert; es entstanden die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen. Diese »Ordnung der Dinge«, wie Michel Foucault sie nannte, bildete den Kern der Wissenschaft der Aufklärung (Foucault 1970). Sie gestaltete auch das Seerecht und damit die Verteilung der verschiedenen Kontrollrechte über das Meer. In diesem Denkstil kam das uralte Motiv des Gitternetzes zum Einsatz, in dem verschiedene Dimensionen und Gebilde in abgegrenzte Einheiten eingeteilt und sortiert werden, um sie auf diese Weise praktisch unter Kontrolle zu bringen. Häufig war das Netz zudem mit einer Hierarchie verknüpft – da ist beispielsweise die alte Idee der Stufenleiter der Wesen (»scala naturae«), mit Gott an der Spitze, gefolgt von Engeln, von den durch Gott eingesetzten Königen, der Aristokratie und nachfolgenden Rängen, die als »zivilisiert« bis »wild« klassifiziert wurden, gefolgt von Tieren, Pflanzen und Mineralien in absteigender Reihenfolge (Lovejoy 1936, Hodgen 1971). Indem das denkende Selbst zum Garant des Seins wurde, wurde das alles sehende »Auge Gottes« durch das »geistige Auge« ersetzt und Menschen so die Verantwortung für den Kosmos übertragen. Diesen wiederum begriff man oft als Maschine, die aus unterschiedlichen, abtrennbaren Teilen bestand, die jeweils eine konkrete Funktionen erfüllten, die man nun untersuchen konnte.

Mitte des 18. Jahrhunderts verbreitete sich diese Ordnung der Dinge in Europa wie ein Lauffeuer. Viele Aspekte des Lebens wurden transformiert – die Verwaltung (mit Volkszählungen, Landvermessung und bürokratischen Systemen), die Industrie (mit einer Produktion, die auf Mechanisierung und Standardisierung, dem Nachbau von Bauteilen und der Verfahrensoptimierung gründete) sowie die Wissenschaft (mit dem Einsatz von Instrumenten, der Quantifizierung und zunehmenden Spezialisierung des Wissens) (Frängsmyr, Heilbron und Rider 1990). Der Aufschwung der Vermessung hing eng mit militärischen Aktivitäten und der wissenschaftlichen Erforschung und Nutzung physikalischer Kräfte zusammen (Edney 1994).

Zufälligerweise war James Cook der erste europäische Entdeckungsreisende, der in Neuseeland eintraf, um sich als führender Hydrograf an vorderster Front vom Meer eine neue Vorstellung zu machen. Wie die anderen Kartographen seiner Zeit ging auch er von einem imaginären Beobachtungspunkt hoch über der Erde aus: ähnlich dem »Auge Gottes«. Auf Cooks Karten verwandelte sich das Meer – grau oder blaugrün wie es war, die Heimat von Vögeln, Fischen und Walen, mit den Wogen der Gezeiten und Wellen, die sich im Wind kräuseln – in eine statische, weiße, zweidimensionale Fläche, die vom Netz der Breiten- und Längengrade durchzogen ist; mathematisch eingeteilt und vermessen. In der Nähe von Häfen und Lagunen maß man die Tiefe des küstennahen Meeresbodens mit dem Lot und übertrug die Ergebnisse der Sondierung in die Karten. Durch dieses instrumentelle Verfahren wurde der diffuse, sich ständig in Bewegung befindliche Bereich zwischen Land und Meer auf eine einfache Linie reduziert (Salmond 2005).

Jordan Branch (2011) hat argumentiert, dass dieser Prozess der kartografischen Vereinfachung eng mit der imperialen Macht und der Schaffung des modernen Nationalstaats verwoben war. Mit Ausnahme einiger verstreut liegender Inseln wurden Teile des Pazifiks als leere Flächen dargestellt, die darauf warteten, von europäischen Mächten erkundet, kartografiert, in Anspruch genommen und regiert zu werden. Damals galt in Europa die Souveränität der Krone (bzw. des Imperiums) bis zu drei Meilen3 vor der Küste, wobei Eigentumsrechte (das »Dominium«) innerhalb dieser Grenze gewährt werden konnten. Kapitän Cook hatte Anweisungen von der Admiralität, jegliches neue Land, das er »entdecken« sollte, für die britische Krone in Anspruch zu nehmen.

Gleichzeitig sollte man die Vielfalt der Ansichten während der Aufklärung nicht unterschätzen. Mitte des 18. Jahrhunderts zum Beispiel haben Männer wie Erasmus Darwin4 und Joseph Priestley5, schottische Aufklärer, der Enzyklopädist Comte de Buffon6 in Frankreich, Benjamin Franklin in Amerika und später die Humboldt-Brüder die Realität als lebendige Beziehungsnetze zwischen verschiedenen Phänomenen verstanden, die vom gegenseitigen Austausch mit Leben gefüllt wurden – eine Darstellung, die im maorischen und polynesischen Denken viel Resonanz erzeugt. In dieser Tradition der Aufklärung – man könnte sie »Ordnung der Beziehungen« nennen – sind Menschen lediglich eine Lebensform unter vielen, und die Welt befindet sich in ständiger Veränderung. Ideen wie Gerechtigkeit, Wahrheit, Gleichheit und Ehre, Balance und Gleichgewicht legten nahe, wie die Austauschbeziehungen – insbesondere zwischen Menschen – gestaltet werden sollten. Hier finden sich die Ursprünge der partizipatorischen Demokratie, großer Teile der zeitgenössischen Anthropologie, der Geowissenschaften, der Ökologie und der evolutionären Theorie. Auch das World Wide Web und wissenschaftliches Nachdenken über komplexe Systeme und Netzwerke lassen sich letztlich auf diesen Richtung modernen Denkens zurückführen.

Es überrascht nicht, dass sich diese Vielfalt der Sichtweisen an Bord der Endeavour wiederfand. Zusätzlich zu den Befehlen der Admiralität hatte Cook ein ganzes Bündel voller »Hinweise« vom Präsidenten der Royal Society Earl of Morton erhalten. Darin wurden die Rechte der pazifischen Menschen auf Kontrolle über ihr eigenes Land und ihre Küsten anerkannt; zudem schlug der Earl vor, in welcher Weise Cook die Menschen, Orte, Pflanzen, Tiere und Mineralien, denen sie während ihrer Reise um die Welt begegnen würden, detailliert beschreiben sollte. Während also Cooks Karten das Land und das Meer abstrakt darstellen, machten die Tagebücher, Skizzen und Sammlungen der Wissenschaftler und Schiffsoffiziere beides wieder lebendig. Sie ergänzten sie, zumindest teilweise, um detailreiche Darstellungen der Landschaften, der Einheimischen, ihrer Kanus, Fischereiausrüstungen und der verschiedenen Fischarten. Sie erfassten Strömungen, Gezeiten und die Temperatur des Ozeans (Salmond 2004).

Als die Endeavour 1769-1770 Neuseeland umrundete, waren die unterschiedlichen Strömungen des aufklärerischen Denkens – wie sie sich in den Befehlen der Admiralität und in den »Hinweisen« des Earl of Morton widerspiegelten – an der Gestaltung des darauf folgenden Geschehens beteiligt. Zudem hat die Anwesenheit Tupaias, den Georg Forster später als »Genie« beschrieb, die Dynamik dieser Begegnungen gewaltig geprägt. Als Hohepriester aus einem der Stammländer der Maori war er schnell in der Lage, die Lautverschiebungen zwischen Maori und Tahitisch zu meistern und mit den Menschen vor Ort zu sprechen.

Die Krieger, die in ihren Kanus hinaus gefahren waren, um das Schiff herauszufordern, waren sich unsicher, worum es sich bei dieser bizarren Erscheinung handeln könnte. In Turanga beispielsweise, dem ersten Hafen, in den die Endeavour einlief, dachten die Menschen, es könnte Waikawa sein, eine vor dem Ende der Mahia-Halbinsel gelegene heilige Insel, die in ihren Hafen hineintrieb. Dennoch forderten sie die Fremden mit ihren althergebrachten Ritualen heraus: »Wero« (rituelle Kampfansagen), »Karakia« (Beschwörungsformeln) und »Haka« (Kriegstänze).

Obwohl Cook die Befehle der Admiralität befolgte, die Marinesoldaten an Land marschieren ließ, um die britische Fahne zu hissen, und Neuseeland in Besitz nahm, beherzigte er zugleich die »Hinweise« des Earl of Morton, indem er mit den Maori verhandelte und den ra’iateanischen Tupaia für ihn dolmetschen ließ. Nachdem die ersten Begegnungen an Land und auf See in Schießereien endeten, war Cook bitter verärgert.

An der neuseeländischen Küste gab es zahlreiche Konfrontationen dieser Art. Als die Endeavour beispielsweise bei der heiligen Insel Waikawa ankam, einer Stätte traditionellen Lernens, skandierten die Priester, und Krieger in Kanus warfen Speere auf den Rumpf der Endeavour. Als sie über Hawke’s Bay segelten, fuhren Kanu-Flottillen heraus, unter Führung älterer, in feine Gewänder gekleideter Oberhäupter, die flammende Reden hielten und ihre Waffen schwangen, was die Europäer am Anlanden hinderte.

Als die Endeavour Richtung Norden unterwegs war und in der Bay of Plenty ankam, fuhr ein großes Kanu mit sechzig Kriegern von Whangaparaoa in die Gewässer der Te Whanau-a-Apanui hinaus und umrundete das Schiff, während ein Priester Beschwörungsformeln sprach und die Crew einen Kriegstanz aufführte. Sie schrien: »Kommt an Land, und wir töten euch«, paddelten schnell, um die Endeavour anzugreifen, und hielten erst inne, als eine Salve Bleikugeln aus einer Kartätsche neben ihrem Kanu landete. Als eine Kanonenkugel abgefeuert wurden, flohen sie zurück an Land. Hier wird die Kontinuität sichtbar zwischen der Anwesenheit von Rikirangi Gage an Bord der San Pietro in der Konfrontation mit dem Vermessungsschiff und diesen früheren Kämpfen, in denen Te Whanau-a-Apanui ihre »Mana«, ihre traditionelle Macht, über ihre Stammesgewässer verteidigten.

Im Großen und Ganzen respektierte Kapitän Cook die Herausforderungen. Er konterte mit Warnschüssen, anstatt die Krieger zu erschießen. Der Earl of Morton hatte darauf bestanden, dass die Menschen in den neuen Landen das Recht hätten, ihre eigenen Territorien zu verteidigen, einschließlich ihrer Küstengewässer. Später war es dasselbe Verständnis, das dem Versprechen im englischen Text des Vertrags von Waitangi zugrunde lag, dass die Maori »vollständigen, exklusiven, ungestörten Besitz ihrer … Fischgründe und anderer Besitztümer [genießen sollten] … solange es ihr Wunsch und Anliegen ist, dieselben in ihrem Besitz zu halten.«

Erst vor relativ kurzer Zeit, 1965, wurde auch in Neuseeland die Souveränität der Krone formal auf drei Meilen von der Küste ins Meer hinaus ausgeweitet, 1977 auf zwölf Meilen und 1982 unter dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen auf 200 Meilen, was eine »ausschließliche Wirtschaftszone« im Meer definierte, die die Regierung gegen die Whanau-a-Apanui- und Greenpeace-Protestierenden zu verteidigen suchte. Das bedeutet, dass die hohe See beziehungsweise das »mare liberum«7 – der Ozean außerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszonen, der allen Nationen frei steht, aber keiner Nation gehört – in jüngster Zeit schrumpft, da die Nationalstaaten ihre irdische Souveränität von den Küsten ausgehend ausweiten. Es ist eine Art ozeanische Einhegung.

Wie wir gesehen haben, verkörpern derart kartografische Vorstellungen des Ozeans bestimmte Grundannahmen über die Welt. Die atomistische, quantifizierende, abstrahierende und kommodifizierende Logik entfaltet sich weiter. Diese Kosmo-Logik fragmentiert die Wissenschaften, trennt die Menschen von »der Umwelt« ab und macht das Wohlergehen anderer Lebensformen kontingent. Sie ist deshalb auch nicht besonders erfolgreich, wenn es um das Verständnis oder den Schutz der Lebendigkeit der komplexen sozio-biophysischen Systeme geht, zu denen Menschen gehören und von denen ihr Wohlergehen abhängt.

Da die Regierung versucht, bislang gemeinsam bewirtschaftete Ressourcen zu kommodifizieren und zu privatisieren, reagieren die Maori, indem sie das Recht der Krone in Frage stellen, diese Entscheidungen überhaupt zu treffen. Der neuseeländische Juraprofessor Alex Frame merkte zum Vertrag von Waitingi an: »Die Kommodifizierung des ›gemeinsamen Erbes‹ hat neue Ansprüche heraufbeschworen und ruhende wieder erweckt … die Ansprüche auf Wasserflüsse, Strom produzierende Staudämme, den Äther, Wälder, Flora und Fauna, Fischquoten, geothermische Ressourcen, den Meeresboden, das Küstenvorland, Mineralien folgen der Tendenz, diese früher als gemeinsames Eigentum geltenden Ressourcen nun als Wirtschaftsgüter zu betrachten, die […] zum Verkauf stehen. Es überrascht nicht, dass die Reaktion der Maori ist: wenn es sich schon um Eigentum handelt, dann um unser Eigentum« (Frame 1999: 234).

Das Küstenvorland und der Meeresboden

Man könnte nun die Entfaltung dieser Logik auch am Beispiel der Quantifizierung der Fischbestände im Rahmen des neuseeländischen Fischereiquotensystems untersuchen, was übrigens zu einem der ersten Anträge an das Waitangi-Tribunal führte, doch ich werde mich hier auf den Streit zwischen vielen Maori und der Krone über das Küstenvorland und den Meeresboden konzentrieren. Dieser Streit war auch Wegbereiter der Konfrontation zwischen Te Whanau-a-Apanui und der Krone und veranschaulicht, warum aktuelle Debatten über die Commons so komplex sind.

Die Geschichte beginnt in den Marlborough Sounds am nördlichen Ende der Südinsel. Obwohl die dort lebenden Stämme beim örtlichen Gemeinderat wiederholt Lizenzen für die Muschelzucht in ihrem angestammten »Rohe« (Territorium) beantragt hatten, wurden diese nicht erteilt. Aus Frust wandten sie sich schließlich an das Maori Land Court, um die Anerkennung ihrer Gewohnheitsrechte am Küstenvorland und am Meeresboden in den Sounds durchzusetzen (Bess 2011: 90-93; Boast 2005). Das Küstenvorland ist ein fruchtbarer Ort. Zur Zeit des Vertrags von Waitangi migrierten Klans und Familien je nach Saison von Gärten und Wäldern zu Feuchtgebieten, Sandstränden, Felsenriffs und zur See; sie pflegten Beziehungen zu einem komplexen Mosaik aus Fischen, Pflanzen und Tieren und ernteten zum Zeitpunkt der größten Fülle. Bestimmte Gruppen hielten zu bestimmten Jahreszeiten verschachtelte Nutzungsrechte an bestimmten Ressourcen. So entstanden überlappende, flexible Netzwerke an Rechten beidseits der Küstenlinie, die Menschen, Land und Meer miteinander verknüpften.8

Im Gegensatz dazu verlief die Linie zwischen Land und Meer gemäß dem 1840 geltenden englischen bürgerlichen Recht an der Flutmarke. Land und Meer unterlagen unterschiedlichen Kontrollregimen. An Land hielt die Krone das Recht des Imperiums und damit die volle Souveränität, in deren Rahmen das Dominium (das Eigentum im Allgemeinen) als Privateigentum begriffen und auch als solches organisiert wurde. Auf See hingegen galt ein anderer Ausgangspunkt: die Krone hatte sowohl Imperium als auch Dominium inne9, zumindest über die ersten drei Meilen ab der Küste.

Als man in Neuseeland begann, Land zu vermessen, abzuteilen und zu verkaufen, gingen sowohl die Regierung als auch europäische Käuferinnen und Käufer in der Regel davon aus, dass das gekaufte Küstenland bis zur Flutmarke reiche, während das Küstenvorland (die Gezeitenzone) sowie der Meeresboden der Krone gehörten.

Von Anfang an fochten die Maori dies an, denn diese Annahme entsprach nicht dem Versprechen in Artikel 2 des Waitangi-Vertrags, dass ihre angestammten Nutzungsrechte zu respektieren seien. Seit 1963, als der Court of Appeal in einem Fall zum Neunzig-Meilen-Strand urteilte, dass die Gewohnheitsrechte am Küstenvorland erloschen seien und der Native Land Court Eigentumsrechte am Küstenland erteilt habe, wurde die Angelegenheit als rechtlich geklärt betrachtet. Doch mit dem Antrag der Marlborough Iwi an das Maori Land Court wurde die Entscheidung in diesem Präzedenzfall aufgehoben. Der Richter befand, dass die vom Justizminister zitierten Rechtsvorschriften, einschließlich des Urteils zum »Ninety Mile Beach«, die Gewohnheitsrechte der Marlborough Iwi nicht hatten erlöschen lassen. Der Fall ging in die nächste Instanz und anschließend an das High Court, der das Urteil kippte. Danach ging der Fall ans Court of Appeal, wo die Richter einstimmig urteilten, dass die Krone bei der Unterzeichnung des Vertrags erst ein Herrschaftsrecht über das Meer erworben hatte, als sie die Souveränität erlangt habe. Sie zitierten das Rechtskonzept des autochthonen Bodennutzungsrechts (»doctrine of aboriginal title«) und urteilten, dass die Dominium-Rechte bei den maorischen Verwandtschaftsgruppen verblieben, sofern sie nicht rechtlich erloschen waren, und dass dies auch für das Küstenvorland und den Meeresboden gelte. Weiterhin, so die Argumentation, sei die Unterscheidung des englischen bürgerlichen Rechts zwischen Land diesseits und jenseits der Flutmarke ungültig, was eine Welle von juristischen Debatten nach sich zog. Richter Elias kommentierte: »Das bürgerliche Recht, wie es in Neuseeland rezipiert wird, wurde mit der Anerkennung der maorischen traditionellen Eigentumsinteressen modifiziert. Es besteht kein Raum für gegenteilige Annahmen, die sich aus dem englischen bürgerlichen Recht ableiten. Das bürgerliche Recht Neuseelands ist anders« (Elias, S, im Court of Appeal, Neuseeland CA 173/01). Die Richterinnen und Richter verwiesen den Fall zurück an das Maori Land Court, um feststellen zu lassen, ob die Marlborough Iwi über traditionelle Rechte an Küstenvorland und Meeresboden in diesen Territorien verfügten oder nicht.

Doch bis dahin hatte es der größte Teil der neuseeländischen Bevölkerung als gegeben hingenommen, dass das Küstenvorland und der Meeresboden, mit Ausnahme des Anrainerrechts, der Krone gehörten. Die Entscheidung machte demnach Furore. Im Laufe der Generationen hatten viele nicht-maorische Neuseeländerinnen und Neuseeländer enge Beziehungen zu bestimmten Stränden und Küstenabschnitten entwickelt; das ließ die maorische Gepflogenheit anklingen, im Sommer an Stränden und küstennahen Campingplätzen Fischereicamps einzurichten und viel Zeit mit Fischen, Tauchen, Surfen und Segeln zu verbringen.

Obgleich einige maorische Führungspersönlichkeiten betonten, dass sie lediglich »Kai-tiakitanga« beziehungsweise die Treuhänderschaft über das Küstenvorland und den Meeresboden ausübten und die betreffenden Gebiete nicht wie Privateigentum behandeln wollten, waren andere eindeutig an Vermarktungsmöglichkeiten interessiert und behaupteten Eigentumsrechte im Meer. Wegen der Befürchtung, ihre Beziehungen zu bestimmten Stränden und Häfen würden auseinandergerissen oder ihre Freizeit- und kommerziellen Interessen an den entsprechenden Orten an die Maori verloren gehen, waren viele nicht-maorische Neuseeländer über die Entscheidung des Court of Appeal empört.

Auch dies war strenggenommen keine ethnische Konfrontation. Unter den Richterinnen und Richtern am Court of Appeal gab es beispielsweise keine Maori. Doch die öffentliche Verärgerung war derart groß, dass die Regierung 2004 übereilt ein Gesetz verabschiedete, um sicherzustellen, dass Küstenvorland und Meeresboden fortan der Krone gehören würden; vorbehaltlich einiger regulatorischer Einschränkungen, bei freiem Zugang für alle und in Anerkennung der angestammten Interessen der Maori (doch ohne die Erlaubnis, dies als uneingeschränkten Eigentumstitel zu verstehen).

Als daraufhin Tausende maorische Protestierende zum Parlament marschierten, wurden sie vom Premierminister als »Umstürzler und Hasser« disqualifiziert, was viele der beteiligten Ältesten schockierte und verletzte. Danach jedoch, als verschiedene Iwi gemäß dem Vertrag von Waitangi Streitschlichtungsvereinbarungen mit der Krone unterzeichneten, beruhigten sich die Gemüter auf allen Seiten (Palmer 2006: 197-214). Als eine neue Regierung mit der Maori-Partei koalierte – sie war aus Protest gegen das Gesetz über das Küstenvorland und den Meeresboden gegründet worden – gab eine neue Gesetzgebung den Maori weitere angestammte (jedoch nicht uneingeschränkte) Rechte an diesen Gebieten und schützte gleichzeitig öffentlichen Zugang und Nutzung, indem sie das Küstenvorland und den Meeresboden als »Gemeinbesitz« (»public domain«) definierte (Bess 2011: 92-93).

Auf See behielt sich die Krone jedoch das Recht vor, ohne Beteiligung der Öffentlichkeit Förderlizenzen für Erdöl- und Mineralien zu erteilen. Bis zur Konfrontation des Fischerboots der Te Whanau-a-Apanui mit der Orient Explorer hatten die Maori viele nicht-maorische Unterstützerinnen und Unterstützer gewonnen, die ihre Befürchtungen über die Zukunft des Ozeans teilten. Als das Containerschiff Rena im Oktober 2011 im westlichen Teil der Bay of Plenty auf ein Riff lief, bestätigte die Realität ihre Vorahnungen. Die Fracht, unter anderem Gefahrengüter wie Heizöl und Diesel, ergoss sich ins Meer.

»Die Menschheit miteinander verknüpfen«

Wie gesehen, haben sich in Neuseeland grundverschiedene Onto-Logiken der Beziehungen von Menschen zum Meer als sehr widerstandsfähig erwiesen. Zugleich hat es einen bedeutenden Wandel gegeben, und zwar sowohl in den maorischen Vorstellungen als auch im modernen Denken. So hat sich über die Idee der Kontinuität bezüglich der maorischen Rechte das englische bürgerliche Recht durch Einbeziehung des Gewohnheitsrechts transformiert, wie Sian Elias, mittlerweile Oberster Richter von Neuseeland, schon sagte: »Das bürgerliche Recht Neuseelands ist anders.« Das wird auch in zahlreichen neuseeländischen Gesetzen deutlich, die sich explizit auf »Tikanga« (»hergebrachte Konventionen«) beziehen;10 unter anderem neuere Gesetze, die denjenigen Waitangi-Vereinbarungen rechtliche Wirkung verleihen, in denen uralte Flüsse und Landstriche als Wesen mit eigenen Rechten anerkannt werden. Zugleich hat sich der Inhalt bestimmter »Tikanga« häufig gründlich gewandelt, etwa jener der »Kai-Tiakitanga«, die einst von nicht-menschlichen Wesen wie Haien und Stachelrochen als Wächter über bestimmte Bereiche des Ozeans wahrgenommen wurde. Heute ist eine stärker anthropozentrische Version üblich, in der sich Menschen als Kai Tiaki (»Bewacherinnen und Bewacher«) dieser Orte betrachten. Andererseits wurde auch die Idee, dass die Souveränität mit der Unterzeichnung des Waitingi-Vertrags an die britische Krone übertragen worden war, nicht mehr ernsthaft in Zweifel gezogen, trotz der zahlreichen politischen Herausforderungen und Verfahren vor dem Waitangi-Tribunal. Bezogen auf das Meer bedeutet dies, dass Verfahren wie »Mataitai« und »Taiapure«, bei denen maorische Verwandtschaftsgruppen begrenzte Rechte über küstennahe Subsistenzfischerei entweder ausüben oder mit anderen Mitgliedern der Gemeinschaft teilen, innerhalb strikter Grenzen operieren. Zudem können Kabinettsmitglieder über die Köpfe der Maori hinweg Stammesvertreterinnen bzw. -vertreter für Bewirtschaftungsgruppen benennen und so praktisch sicherstellen, dass ihre Regelungen nicht mit gewerblichen Fischereirechten kollidieren.

Parallel dazu hat sich die Vorstellung von »der Krone« selbst verändert, sodass jegliche Fundamentalopposition zwischen den Maori einerseits und der Krone andererseits mittlerweile schwierig durchzuhalten ist. Seit vielen Jahren sind Maori in Neuseeland Anwältinnen und Anwälte, Richterinnen und Richter, Beamtinnen und Beamte, Ministerinnen und Minister sowie Parlamentsabgeordnete. Tatsächlich war es ein Maori-Minister, Matiu Rata, der bei der Etablierung des Waitangi-Tribunals half.

Auch hier ist die Beziehung zwischen »Iwi« und der Krone struktureller anstatt streng ethnischer Natur, was auch in der Fischereibewirtschaftung zum Tragen kommt, bei der Nicht-Maori und Maori die Fischereiquoten für »Iwi« ausschließlich nach gewerblichen Prinzipien festlegen. Unter »Mataitai« und »Taiapure« hingegen wird die Bewirtschaftung der gewohnheitsmäßigen Fischerei üblicherweise mit nicht-maorischen Mitgliedern der Gemeinschaft geteilt (Jacobson und Moller 2009). Auch bezeichnen sich manche nicht-maorische Neuseeländerinnen und Neuseeländer als »Kai-tiaki« (»Hüterinnen« bzw. »Hüter«) von Flüssen, Stränden und gefährdeten Arten; die Zunahme maorischer Begriffe im neuseeländischen Englisch transformiert Denkweisen.

In Neuseeland scheint also ein Mittelweg zu existieren, wobei Experimente, die sowohl maorische als auch nicht-maorische Sitten und Gebräuche betreffen, immer wieder neue Ideen und Handlungsmöglichkeiten schaffen – im Recht, in der Regierungsführung, in der Geschäftswelt11 sowie in vielen Bereichen des täglichen Lebens, von den Künsten über den Sport bis hin zu öffentlichen Ritualen. Für die Zukunft ist dies vielversprechend, denn Experimente dieser Art sind dringend nötig – nicht nur mit Blick auf die Nutzung des Meeres. In Neuseeland wie anderswo wirken die radikale Unterteilung in Natur und Kultur sowie der Glaube, dass die Menschen die Natur grenzenlos ausbeuten dürften und jeglicher Schaden repariert werden könnte, fundamental zerstörerisch für die Beziehungen zwischen Menschen und dem Ozean. Obwohl Männer und Frauen unsere Strände und Küsten noch immer frequentieren, um zu surfen, zu schwimmen, zu tauchen und zu fischen oder zu segeln, sind diese Aktivitäten zunehmend gefährdet durch Wasserverschmutzung, Sedimentierung oder Überfischung von Riffen, Muschelbänken und Fischgründen sowie die intensiven Stürme, die Versauerung der Meere oder klimabedingte Veränderungen.

Zeitgenössische wissenschaftliche Modelle mit ihren Fragmentierungen, die eine tiefgreifende Abtrennung zwischen den Menschen und anderen aus »der Ordnung der Dinge« geborenen Phänomenen mit sich bringen, führen in die Irre. Sie sind nicht in der Lage, die kaskadierenden Dynamiken komplexer Systeme angemessen zu erfassen, mit denen Menschen auf jeder Maßstabsebene zu tun haben.

Auch Vorstellungen von Commons können sich nicht immer von diesen ontologischen Beschränkungen lösen. In Neuseeland finden sie ihre verschlungenen Wege in die Wirklichkeit: manchmal, um gegen maorische Ansprüche an Fischgründen oder Wasserstraßen vorzugehen (»Das Wasser gehört niemandem!«), die danach aber mitunter privatisiert werden; manchmal auch, um Allianzen mit maorischen Verwandtschaftsgruppen zu schmieden (wie im Falle der San Pietro), um Projekte der Rohstoffgewinnung zu verhindern. Solange die Menschen nicht begreifen, dass ihr Sein und das Sein des Meeres untrennbar miteinander verknüpft sind, werden sie nicht fordern, dass menschliche Aktivitäten, die unsere Zukunft gefährden, innerhalb überlebbarer Grenzen stattfinden.

In Neuseeland gibt es Resonanz zwischen (1) dem beziehungsorientierten Denken aus der Aufklärung (einschließlich Commons), (2) maorischen Vorstellungen von komplexen Netzwerken, die die cartesianischen Unterteilungen zwischen Subjekt und Objekt, Geist und Materie, Gesellschaft und Natur umgehen, sowie (3) der zeitgenössischen Wissenschaft komplexer Systeme. Diese Konvergenzen könnten helfen, neue Vorstellungen vom Ozean zu ersinnen.12

So wie der Physiker Niels Bohr auf asiatische Begrifflichkeiten zurückgriff, um die Quantentheorie zu verstehen, oder Marcel Mauss über die maorische Idee des »hau« nachdachte, um sich Alternativen zu einer kommodifizierten Welt vorzustellen, könnten derart Philosophien überschreitende Experimente helfen, eine neue Umweltwissenschaft hervorzubringen. Das wiederum würde auch die auf komplexen Systemen beruhenden Ideen der Commons begünstigen – jene verwobenen, kaskadierenden, dynamischen, interaktiven Netzwerke unter Menschen sowie zwischen Menschen und anderen Lebensformen auf allen Ebenen – samt ihrer rechtliche Arrangements, in denen Flüsse und der Ozean ihr eigenes Sein und ihre eigenen Rechte haben.

Mein Mentor, der Te-Whanau-a-Apanui-Älteste Eruera Stirling, hat folgendes Lied gesungen:

Whakarongo! Whakarongo! Whakarongo!

Ki te tangi a te manu e karanga nei

Tui, tui, tuituiaa!

Tuia i runga, tuia i raro,

Tuia i roto, tuia i waho,

Tuia i te here tangata

Ka rongo te po, ka rongo te po

Tuia i te kawai tangata i heke mai

I Hawaiki nui, i Hawaiki roa,

I Hawaiki pamamao

I hono ki te wairua, ki te whai ao

Ki te Ao Marama!

Hört! Hört! Hört!

Den Schrei des rufenden Vogels

Verbindet euch, kommt zusammen, seid eins!

Verbindet euch nach oben und nach unten

Verbindet euch nach innen und nach außen

Verknüpft die Menschheit miteinander

Die Nacht hört, die Nacht hört

Verbindet die Linien der Menschen, die abstammen

Vom großen Hawaiki, vom langen Hawaiki

Vom fernen Hawaiki

Verbindet euch mit dem Geist, mit dem Tageslicht

Mit der Welt des Lichts!

Literatur

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Anne Salmond ist Distinguished Professor für Māori-Studien und Anthropologie an der University of Auckland. Sie hat über viele Jahre mit indigenen Gruppen und Führungspersönlichkeiten im Pazifischen Raum zusammengearbeitet und zahlreiche literarische sowie wissenschaftliche Preise gewonnen. Im Jahr 2013 erhielt sie die Rutherford Medaille, die höchste wissenschaftliche Auszeichnung des Landes. Im selben Jahr wurde sie Neuseeländerin des Jahres. Anne Salmond leitet umfangreiche Umweltprojekte.

1 | Ein Marae ist in den pazifischen Kulturen ein abgegrenztes Areal für zeremonielle Zwecke, oft mit einer Tempelanlage bebaut. In Neuseeland haben die meisten Stämme (Iwi), Unterstämme (Hapu) und auch kleinere Maori-Gemeinschaften ihre eigenen Marae, an denen Begrüßungen, Reden und zahlreiche kulturelle Aktivitäten stattfinden. Mitunter werden die Marae auch für offizielle Zeremonien der Schulen oder gar Universitäten benutzt (Anm. der Hg.).

2 | Das ANZUS-Abkommen wurde 1951 zwischen Australien, Neuseeland und den USA unterzeichnet und trat am 28. April 1952 in Kraft. Es ging um die Sicherheit im Pazifischen Raum, ursprünglich vor allem gegen eine erneut mögliche japanische Aggression. Der hier geschilderte Vorgang belastet bis heute die neuseeländisch-amerikanischen Beziehungen (Anm. der Hg.).

3 | Eigentlich eine Wegstunde (»league«): eine alte Maßeinheit des angloamerikanischen Maßsystem, die vor Einführung des metrischen Systems auch in zahlreichen Commonwealth-Staaten galt, heute aber fast nur noch in den USA gebräuchlich ist (Anm. der Hg.).

4 | Der Dichter, Botaniker, Arzt und Erfinder Erasmus Darwin gehörte zu den führenden Intellektuellen des 18. Jahrhunderts, Charles Darwin war sein Enkel (Anm. der Hg.).

5 | Der englisch-amerikanische Theologe, Philosoph, Chemiker und Physiker beschrieb erstmals die Darstellung und Wirkung des Sauerstoffs und entdeckte Darstellungsmöglichkeiten für zahlreiche weitere Gase (Anm. der Hg.).

6 | Sein bürgerlicher Name war Georges-Louis Leclerc (Anm. der Hg.).

7 | »Mare liberum« ist eine von Hugo Grotius formulierte Doktrin, um das Recht der Holländer, nach Ostindien zu segeln, zu verteidigen. Sie stand im Gegensatz zum Anspruch der Portugiesen, die ausschließliche Kontrolle über jene Gewässer zu behaupten: »Aus denselben Gründen ist Gemeingut das Element des Meeres, das ohne feste Grenzen ist, so daß es nicht besessen werden kann und dem allgemeinen Gebrauch, sowohl hinsichtlich der Schiffahrt wie des Fischfangs, bestimmt ist« (Grotius, Übers. Richard Boschan, 1919: 44).

8 | Siehe Diaw (2008) für eine hervorragende Diskussion ähnlich resilienter Systeme durch verschachtelte Nutzungsrechte in Kamerun und deren Konsequenzen für sich verändernde Vorstellungen von Commons.

9 | Das heißt, niemandem wurden dort individuelle Eigentumsrechte zugestanden (Anm. der Hg.).

10 | Siehe Henare (2007) für eine Untersuchung der Art und Weise, in der beispielsweise das Konzept von »Taonga« (»angestammter Schatz«) in die neuere neuseeländische Gesetzgebung integriert wurde.

11 | Es ist interessant, dass eine der größten Firmen in Neuseeland, das Molkereiunternehmen Fonterra, als Kooperative im Besitz der Landwirtinnen und Landwirte agiert und »share-milking«, eine Form der Naturalpacht in der Milchwirtschaft, üblich ist.

12 | Vgl. Schmidt und Mitchell 2013: 64-66. Sie gehen der Frage nach, welche Möglichkeiten es in einem kanadischen Kontext gibt, Commons umzugestalten, mit einigen Verweisen auf die First Nations.