Die Welt der Commons

Muster des gemeinsamen Handelns

Ein Theater-Commons kommt zur Welt

Die Stiftung Teatro Valle Bene Comune

Dario Gentili und Andrea Mura

Das 1727 gegründete Teatro Valle in Rom bot bereits Mozart, Rossini und Pirandello eine Bühne. Derzeit aber wird das älteste Theater der italienischen Hauptstadt als Symbol einer richtungsweisenden Auseinandersetzung um die Commons wahrgenommen. Sie begann mit dem landesweiten Referendum vom 12. und 13. Juni 2011, das die umfassende Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgung vorsah. Mit der Ablehnung dieser Pläne durch mehr als 90 Prozent der Wählerschaft rückte das sogenannte »Wasser-Referendum« die Commons ins Zentrum öffentlicher Diskussionen; und problematisierte den Rechtsbegriff der »öffentlichen Güter« durch den Slogan: »Ja für Wasser als Gemeingut«.1

Einen Tag nach der Abstimmung besetzten Kunstschaffende sowie Bürgerinnen und Bürger das ehrwürdige Gebäude des Teatro Valle, um es vor der drohenden Privatisierung zu bewahren. Die Besetzung lenkte die Aufmerksamkeit unverzüglich auf die mangelhafte Finanzierung und Instandhaltung durch die Theaterbehörde (ETI), eine öffentliche Institution, die 2010 geschlossen worden war. Weil ein Theater laut Gesetz »öffentliches Gut« ist, hatte die Stadtregierung das Recht, private Investoren zu einem Bieterverfahren einzuladen und ein reguläres Verfahren für den Verkauf einzuleiten. Die Privatisierung war also nicht nur durch das Gesetz gedeckt, sie war wegen der Haushaltslage für die Stadt auch enorm attraktiv.

Die Besetzer erkannten, dass es angesichts der Gesetzeslage und der Rechtslogik sowie weiterer Privatisierungsdrohungen am sinnvollsten wäre, das Theater zu einem Commons zu machen. Aus der vorübergehenden Besetzung wurde rasch die Protestbewegung »Teatro Valle Occupato«2, die drei Jahre andauerte. Ihr langfristiges Ziel war nicht nur der Schutz des Theaters, sondern auch die Stärkung eines neuen Rechts auf Stadt – und auf Commons. Frauen und Männer aus Kunst, Wissenschaft und Roms Bürgerschaft brachten neuen Schwung in das politisch wie kulturell ambitionierte Projekt, die Idee des Gemeinguts auch auf immaterielle Güter zu beziehen.

Die Besetzerinnen und Besetzer opponierten gegen die neoliberale Politik, alles zur Ware zu machen und entwickelten experimentell einen neuen Weg, um die entsprechende Gesetzgebung selbst neu zu denken. Sie kämpften also nicht länger gegen> das Gesetz, sondern durch> das Gesetz und starteten eine Kampagne für die rechtliche Anerkennung des Teatro Valle als Commons. Dafür gab es Unterstützung von landesweit bekannten Juristinnen und Juristen sowie einer »Verfassungsgebenden Versammlung der Commons«. Diese trat mehrmals zusammen und sollte die Zugangs- und Nutzungsregeln erarbeiten.3 Den Beteiligten war es wichtig, ihren Ansatz von »normalen« Hausbesetzungen unterscheidbar zu machen. Ging es doch vorrangig um die Anerkennung eines Gemeinguts als Gegenstand des Rechts sowie darum, die bestehenden Rechtsmittel aus ihrem üblichen, konservativen Gebrauch herauslösen und emanzipieren zu können.

Die wichtigste Innovation war die Gründung einer formalen, privatrechtlichen Institution, die als treuhänderische Einrichtung gedacht ist: die Fondazione Teatro Valle Bene Comune (Stiftung für das Gemeingut Teatro Valle). Die präzisere Benennung der Rechtsform hat das Spannungsverhältnis zwischen Legitimität und Legalität im realen Theaterbetrieb deutlicher werden lassen. Die Stiftung sollte den Besetzerinnen und Besetzern eine rechtliche Handhabe für die Inbesitznahme, Nutzung und Bespielung des Theaters gegenüber eventuellen gegenteiligen privaten Ansprüchen geben. Daraus entstand auch die Möglichkeit, rechtliche Fragen rund um die Verwaltung öffentlicher und gemeinschaftlicher Güter in der Zukunft ganz neu anzugehen und zugleich einer Commons-Gesetzgebung den Weg zu ebnen oder dafür zu streiten, dass das Thema Aufnahme in die Verfassung findet. Die Idee war, die Aufmerksamkeit auf die Defizite zu lenken, die mit der traditionellen Unterscheidung von privaten und öffentlichen Gütern verbunden sind und zugleich dem Phänomen entgegenzuwirken, Privateigentum als eine Art Naturgegebenheit zu betrachten.

Das Teatro Valle Occupato versuchte sehr bewusst, alle Anforderungen für die Schaffung seiner neuen Rechtsform zu erfüllen, die, obwohl noch nicht formal anerkannt, de facto schon bald wie eine Institution wirkte. Dazu gehörte auch der Entwurf einer Satzung, um die Reichweite der Regelungen, die Handlungsprinzipien und Organisationsstrukturen festzulegen. Nach diesem Entwurf besteht die »Kommune« bzw. die »Versammlung der Kommunarden« aus allen, die sich aktiv am Theater beteiligen. Sie fungiert nach Artikel 12 als oberstes Entscheidungsorgan der Stiftung, trifft sich zweimal im Monat und ist ein offenes, sich stets veränderndes Gremium, dem die Kommunarden angehören, die gerade am jeweiligen Treffen teilnehmen. Die »Kommune« trifft alle wichtigen Entscheidungen. Sie ist verantwortlich für die Erhaltung und Weiterentwicklung der Stiftung, Ergänzungen der Satzung, die Organisation verschiedener Arbeitsgruppen und – am allerwichtigsten – die Gestaltung der kulturellen und politischen Aktivitäten. Für Entscheidungen bedarf es eines Konsenses. Dafür nutzen wir einen nichtautoritären, konkurrenzfreien, gemeinsamen Entscheidungsfindungsprozess. Die Meinungsbildung kann zwar langwierig sein, bis eine endgültige Entscheidung getroffen ist, doch der Prozess stellt sicher, dass alle Meinungen eingebracht werden können. Alle, gleich ob ursprünglich in einer Mehrheits- oder Minderheitsposition, müssen dann die Entscheidung mittragen. Aus pragmatischen Gründen gibt es jedoch eine Klausel, die es ermöglicht, zur Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip zurückzukehren, sofern bei zwei aufeinander folgenden Treffen keine konsensuale Lösung gefunden wird.

Die Kommunardinnen und Kommunarden sowie alle, die uns unterstützen, den jährlichen Mitgliedsbeitrag bezahlt oder gelegentlich mitgearbeitet haben, gehören als Stiftungsmitglieder dem zweitwichtigsten Gremium an: der Vollversammlung. Diese trifft sich einmal im Jahr und beschließt den Haushalt. Darüber hinaus gibt es einen Vorstand, der federführend die von der »Kommune« beschlossenen Aktivitäten koordiniert. Aus dessen Kreis wird ein Vorsitzender oder eine Vorsitzende gewählt, die die Stiftung vorübergehend auch rechtlich vertreten kann. Die Kriterien für die Zusammensetzung des Vorstandes und die Wahl des Vorsitzes, zu der auch solche Personen der Generalversammlung zugelassen sind, die nicht Kommunarden sind, unterstreichen den inklusiven Charakter der Stiftung.

Per Satzung ist die Stiftung zur »vollen Entfaltung von Kultur als Gemeingut« verpflichtet (Art. 5) und dabei bestrebt, die Tradition des Teatro Valle mit den grundlegenden Prinzipien von »Co-working«, Inklusion, direkter und partizipativer Demokratie, gemeinschaftlicher und Gemeinschaft generierender Aktion und kreativem Schaffen zu verbinden. Mit dieser neuen Governance-Form wurde »das Valle« zwischen 2011 und 2014 zum Schauplatz vieler großartiger Veranstaltungen mit internationalen Künstlerinnen, Aktivisten und Intellektuellen. Das hat die European Cultural Foundation bewogen, dem Theater 2014 den angesehenen Princess Margriet Preis zu verleihen.

Doch trotz der internationalen Unterstützung schlug dem Theater, wie so oft in Italien, massiver Widerstand im eigenen Land entgegen. Medien und wichtige Personen forderten, die Besetzerinnen und Besetzer zu vertreiben und repressive Maßnahmen gegen sie einzuleiten. Sie beschuldigten sie des »unfairen Wettbewerbs« gegenüber anderen Kultureinrichtungen der Stadt sowie des »Missbrauchs« eines öffentlichen Gutes, das sie »den Bürgern« (gemeint waren private Investoren) weggenommen hätten.

Die politische Stimmung schlug im Februar 2014 um, als der Präfekt von Rom (der Generalvertreter des Staates auf lokaler Ebene) den Antrag des Teatro Valle auf Anerkennung als Stiftung ablehnte. Er begründete dies damit, dass die Stiftung nicht Eigentümer des Ortes (des realen Theaters) sei, eines vor dem Gesetz (rein rechtlich) immer noch von der Stadt verwalteten öffentlichen Gutes. Kurz, für den Präfekten war der Besitz des Theaters keine ausreichende Grundlage – genau dieses Prinzip aber, dass Besitz und Nutzung entscheidend sind, wollte die Versammlung der Besetzerinnen und Besetzer stark machen.

Als die Stadtverwaltung im Juli 2014 ein Ultimatum aussprach, bis zu dem das Theater geräumt werden musste, wurde eine permanente Generalversammlung eingerichtet, die für alle Bürgerinnen und Bürger offen war, um über die aktuellen und künftigen Strategien der Stiftung zu beraten. Mit dieser Aktion konnte die Zustimmung zu einer öffentlichen Verhandlung erwirkt werden – zwischen dem Teatro Valle, der Stadtregierung und Teatro di Roma, jener Verwaltungsabteilung, der die Theater der Hauptstadt untergeordnet sind und die vom Bürgermeister mit der Leitung des Teatro Valle nach dessen Räumung beauftragt werden würde. Nach zweiwöchigen Verhandlungen gaben die Besetzerinnen und Besetzer der formalen Forderung des Bürgermeisters nach, dass die Renovierungs- und Sanierungsarbeiten sofort beginnen müssten. Sie beschlossen, das Valle am 10. August 2014 freiwillig zu verlassen. Dieser Schritt – von der Besetzung zur Renovierung – war an die Bedingung geknüpft, dass das Theater für die nächsten 100 Jahre öffentlich bleibt sowie Stadtregierung und Stiftung gemeinsam eine Übereinkunft für seine Zukunft entwerfen würden.

Auch wenn das eine dramatische Entscheidung war, so betonte die Stiftung doch, dass sie ihre ursprünglichen Ziele, die Privatisierung des Theaters zu verhindern und mit neuen Formen demokratischer Governance zu experimentieren, erreicht hatte.

Zudem begann mit dieser Vereinbarung eine »neue Phase«, in der die Stiftung überhaupt erst als Raum für Commoning erkennbar werden würde und nicht als Ort, an dem eine öffentliche Einrichtung verwaltet wird. Das könne auch der Erfahrung aus der Besetzungszeit Kontinuität verleihen und die physischen Grenzen des Theatergebäudes überwinden. Im Rahmen einer Vereinbarung mit der Stadt stünden die Chancen gut, dass es zu einer formalen Anerkennung der Stiftung kommt, zu einer öffentlichen Wertschätzung ihrer kulturellen und politischen Leistungen der letzten drei Jahre und zu einer formellen Verpflichtung, diese Erfahrung wertzuschätzen und das Valle gemeinsam mit Teatro di Roma zu verwalten. Solch ein Ergebnis würde alle zukünftigen Versuche, das Valle zu privatisieren, von vorn herein torpedieren.

In Zukunft werden öffentliche Einrichtungen andere und vielfältige, hybride Formen der Governance brauchen, während die Stiftung für das Gemeingut Teatro Valle wird beweisen müssen, dass sie die Führung des Hauses offener, transparenter und inklusiver gestalten kann, als das in klassischen öffentlich-privaten Managementstrukturen normalerweise geschieht. Es wird darum gehen zu zeigen, dass eine Regierungsführung, die auf den Prinzipien der Commons beruht, mehr ist als eine simple Zurückweisung von privatem oder öffentlichem Eigentum. Sie ist eine echte, zukunftsweisende und sozial tragfähige Alternative.

Andrea Mura ist promovierter Philosoph. Er hat an der Universität von Aberdeen sowie in Exeter Politische Philosophie studiert. Heute gehört er zum Projektteam der Open University und forscht im Schnittfeld zwischen Psychoanalyse und Philosophie. Seine nächste Monographie widmet sich dem Politischen Denken im Islam (The Symbolic Scenarios of Islamism: A Study in Islamic Political Thought>, Farnham: Ashgate, 2015).

Dario Gentili ist ebenfalls promovierter Philosoph. Er forscht zu Rechtsethik und Rechtsphilosophie an der Universtät III in Rom, wo er am Lehrstuhl für Moralphilosophie arbeitet.

1 | Siehe: www.acquabenecomune.org/raccoltafirme/ (Zugriff am 25. November 2014).

2 | Auf Deutsch: Teatro Valle besetzt.

3 | Siehe: www.opendemocracy.net/can-europe-make-it/maria-rosaria-marella/constituent-assembly-of-commons-cac (Zugriff am 15. Mai 2015).