Der Architekt Van Bo Le-Mentzel lebt Offenheit, Commons und bedingungsloses Grundarbeiten
Ein Interview
Van Bo Le-Mentzel, deutscher Architekt laotischer Herkunft, ist Erfinder von allerlei Nützlichem. Mit Hartz-IV-Möbeln, dem Unreal-Estate-Haus und dem Ein-Quadratmeter-Haus hat er die Welt beschenkt. Die Konzeption darin – bedingungslose Freiheit, etwas im eigenen Sinne zu nutzen – überträgt er nun auf sein Leben. Und auf das seiner Familie, denn 2014 startete er eine Kampagne namens #dScholarship. »In jedem von uns steckt ein Genie. Weck es auf!« Nach einem Gespräch zum #dScholarship, mit der sich der stets gut gelaunte Architekt ein ganzes Jahr »von der Crowd« finanzieren lassen möchte, stellte eine Journalistin fest: »In gewisser Weise sucht die Kampagne nach Mäzenen in einer Welt, in der es keine Grafen, Mündel und Lehnsherren mehr gibt. Die evangelisch-demokratische Version einer gutmütigen Dauerfinanzspritze. Oder mit dem Worten Van Bos: ein erster Schritt zu einem bedingungslosen Grundeinkommen.«1
Und das Spannende ist: Dieses Grundeinkommen hängt nicht vom Staat ab. Nicht von der Anonymität der Beitragenden, sondern von der Beziehung zu diesen. Ein commons-basiertes Grundeinkommen sozusagen. Eines, das Leistung von der Gegenleistung entkoppelt. Eines, das Freiheit gewährt und das Van Bo Le-Mentzel ermöglicht zu »grundarbeiten«. Wie kommt ein junger Mann, mit Kleinkind im Tragetuch dazu, vom Open Design über ein Fair-Trade-Schuhprojekt (die Kharma Chacks) und viele Stationen mehr, das halbe Leben in die Hände einer Community zu legen? Ist das mutig oder verrückt?
Silke Helfrich: Van Bo, Designermöbel oder »Zweckmöbel«?
Van Bo Le-Mentzel: Designermöbel.
Silke Helfrich: Klingt anspruchsvoll … und teuer. Aber Du bist Architekt und hast Hartz-IV-Möbel entworfen. Was hat es damit auf sich?
Van Bo Le-Mentzel: Das sind Bauanleitungen von Möbeln, die normalerweise sehr teuer sind. Dabei habe ich mich vom Bauhaus inspirieren lassen. Dahinter steckt der Gedanke: Jeder Mensch sollte sich einen »Bauhaus-Stuhl« leisten können.
Silke Helfrich: Wie bist Du darauf gekommen?
Van Bo Le-Mentzel: Ich frage mich oft, was wohl an Möbeln – oder an anderen Dingen – entstehen würde, wenn man sich nicht immer fragt, wie man sie verkaufen kann. Ich glaube, viele Güter würden anders werden. Weniger die Umwelt belasten, weniger Arbeitskräfte verheizen. Und den Konsumenten weniger vorgaukeln. Güter mit Güte, sozusagen. (lacht)
Silke Helfrich: So wie die Hartz-IV-Möbel.
Van Bo Le-Mentzel: Genau.
Silke Helfrich: Welche Rolle spielt dabei die Open-Design-Idee? Sowohl bei den Hartz-IV-Möbeln und den Karma Chakhs als auch bei den »Do it yourself«-Hausprojekten weist Du daraufhin, dass Nachahmen ausdrücklich erwünscht ist. Das sehen andere Kreative anders.
Van Bo Le-Mentzel: Ich bekenne mich zu Open Source und unterstütze die Open-Design-Idee, aber ich habe mir dafür andere Begriffe ausgedacht. Begriffe, die Offenheit nicht benennen, aber voraussetzen.
Silke Helfrich: Zum Beispiel?
Van Bo Le-Mentzel: Beta Business. Damit meine ich, schnell mit Hilfe von Open-Source-Werkzeugen etwas gründen oder eine Unternehmung gemeinsam mit der Crowd beginnen ohne Anspruch auf Erfolg: Blogs, freie Plattformen wie »strikingly«2 oder »Etherpads«3 oder die Kampagnenplattform »avaaz« helfen dabei.
Silke Helfrich: Das hat nicht unbedingt etwas mit dem Nutzen für alle zu tun.
Van Bo Le-Mentzel: Stimmt, aber es setzt Offenheit voraus – und das verändert alles. Weil es keinen Sinn mehr ergibt, feste Strukturen, ein Logo, einen Businessplan, Firmenziele, Erfolgskontrollmechanismen oder Patente zu haben, wenn man permanent in der Betaphase ist. Im Beta Business habe ich auch kein Interesse ein Alphatier zu werden, denn es geht um den Fortschritt der Idee, nicht um Befindlichkeiten.
Silke Helfrich: Ist das graue Theorie oder Praxis?
Van Bo Le-Mentzel: Das Betahaus – der wohl bekannteste Coworking-Space der Republik in Berlin – ist ganz praktisch. Oder »bookcrossing« oder die Wikipedia, aber auch die Hartz-IV-Möbel. Das alles ist mehr als graue Theorie. Das Interessante ist doch: Es gibt keine Mitbewerber, kein Hickhack, keine strenge Hierarchie und ganz wichtig: keine Bürokratie und Verwaltung. Das Ende ist völlig offen. Wer so arbeitet, hat eine ganz andere Haltung zu den Dingen…
Silke Helfrich: Und er muss auf Planbarkeit verzichten. Das bringt Unsicherheit mit sich, aber auch mehr Raum für Zufall.
Van Bo Le-Mentzel: Das ist ein anderer Begriff, den ich gerne nutze: »Random Design«. Das bewusste Gestalten des Zufalls. Hier schwingt mit, dass Scheitern erwünscht ist. Es geht nicht darum, schnurstracks von A nach B zu kommen. Businesspläne sind AB-Systeme, Schulen und Unis sind AB-Systeme. Es geht nicht einmal mehr um das B, sondern vielmehr um das C. Um das, was sich ergibt, was nicht planbar ist. Viagra oder das Finden des Seewegs nach Amerika durch Kolumbus waren AC-Prozesse. Viele Erfindungen sind es ebenso: z.B. Sticky notes von 3M oder Google maps. Sie sind mehr oder weniger zufällig in der Freizeit entstanden. Industrie mag kein Random, weil Random nicht skalierbar ist und nicht wachsen kann. Sticky Notes kann man zum Beispiel nicht zweimal erfinden. Man kann vor allem niemanden beauftragen, es zu erfinden. Es erfindet sich gewissermaßen selbst. Genau deshalb liebe ich Random!
Silke Helfrich: Wem gehören die Hartz-IV-Möbel und das Unreal Estate House? Oder allgemeiner: Wem gehört, was im Open-Design-Prozess entsteht?
Van Bo Le-Mentzel: Auf alle Fälle nicht mir. Mich überzeugt die Idee vom »geistigen Eigentum« nicht. Wissen muss frei sein: Ideen, Kompositionen, Texte, Tattoos, Designs, Farben, Wörter, Skulpturen, Witze, Entwürfe, Youtube-Videos. Meine Favoriten sind übrigens die TedTalks von Sir Ken Robinson und Hans Rosling und Videos, in denen man lernt, wie man Raketenöfen baut! Aus Wissen entsteht dann für alle das Beste, wenn es frei ist. Parallel dazu müssen wir Systeme schaffen, in denen Erfinder, Macherinnen, Musiker und andere Wissensherstellerinnen in Würde leben können und nicht nur die Damien Hirsts unter uns.
Silke Helfrich: Mit demselben Argument – in Würde leben zu können – verteidigen viele Kreative und Designer gerade die Idee des geistigen Eigentums, das darauf aufbauende Urheberrecht oder die sogenannten Geschmacksmuster4. Sie sollen sie vor Nachahmung schützen.
Van Bo Le-Mentzel: Das ist ja auch ein wichtiger Punkt. Jedenfalls im jetzigen System, das ganz auf Wettbewerb und die Verwertung von Einfällen und Wissen ausgerichtet ist. Aber wer sagt, dass es so bleiben muss? Was ich nämlich grundsätzlich fragwürdig finde, ist Folgendes: Nehmen wir einen der erfolgreichsten und reichsten zeitgenössischen Künstler: Damien Hirst. Er verwandelt einen echten Hai in ein Kunstwerk und macht damit Millionen. Ich bezweifle, dass er die gleiche Wirkung mit einer Ente oder einem Golden Retriever gehabt hätte. Ich denke: Weder Journalisten noch Dichter oder Komponisten könnten schreiben oder produzieren, ohne von den Dingen, die sie draußen in der Welt sehen, inspiriert zu werden und ohne die Unterstützung anderer. Was zahlen sie an ihre Inspirationsgeber? An die Quellen, von denen sie sich nähren und auf denen sie aufbauen? Bezahlen Journalisten ihre Interviewpartner? Bezahlen Fotografen die Gegenstände, die sie ablichten – Landschaften, die Skylines der Städte, Gebäude oder Menschen, mit denen sie ihr Geld verdienen? Die Brücken von Venedig inspirierten so viele Dichter und Komponisten. Diese Brücken bräuchten wirklich (finanzielle) Unterstützung. Ich kenne keinen Kreativen, der einen Anteil seines Gewinns dafür hergibt, Brücken zu reparieren.
Zudem ist das Problem an den gegenwärtigen Systemen, dass sie alle leistungsorientiert sind. Den einen – meist den Bekannten – nützen sie, den anderen nicht.
Silke Helfrich: Du stellst die Frage nach der Fairness.
Van Bo Le-Mentzel: Ja klar. Wir beide machen nun ein Interview für Dein Buch.
Silke Helfrich: Für unser Buch. Da arbeiten ja sehr viele Menschen mit.
Van Bo Le-Mentzel: Wie fast immer. Jetzt könnte man fragen: Wer arbeitet hier eigentlich für wen? Wem gehört das, was hier gesagt wird? Wer muss wem nun eine Rechnung schreiben? Ich Dir? Oder Du mir? Natürlich kann man versuchen das vertraglich zu regeln. Das freut die Anwälte. Man kann aber auch versuchen, die Idee voranzubringen, in dem Fall den Erfolg des Buches. Und da stellt sich mir nicht die Frage, wem dieses Interview gehört. Es wird ja wieder unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht, also ist dafür gesorgt, dass auch andere unsere Ideen nutzen und weiterentwickeln dürfen. Das finde ich gut und deswegen trage ich auch gern bei. Wer weiß, was unsere Leserinnen und Leser daraus machen. Erich Fromm schrieb sogar, dass es manch aufmerksamem Leser gelingt, das Buch besser zu verstehen, als dem Verfasser selbst. Von daher ist Besitzstandwahrung äußerst rückständig. Ich habe das übrigens als Aufforderung verstanden, seinen Klassiker Haben oder Sein nochmal herauszubringen mit aktuellen Bezügen zur Zeitgeschichte.
Silke Helfrich: Du hast auch schon Ayşe Langstrumpf herausgegeben, eine Kreuzberger Version von Pippi Langstrumpf, pünktlich zum Siebzigsten der berühmtesten Göre der Welt. In Deiner Version sind Blom und Donner-Karlsson schwul und der Affe Herr Nielsson heißt Herr Nguyen. Das also entsteht, wenn man etwas nicht verkaufen will, denn Ayse Langstrumpf ist nicht käuflich zu erwerben. Du veröffentlichst im Internet lediglich eine Anleitung, wie sich jeder basierend auf dem Originaltext seine eigene Pippi-Version ausdrucken kann.
Van Bo Le-Mentzel: Genau so würde ich auch das Buch von Erich Fromm herausgeben. Eine Zusammenfassung seines Lebenswerkes. Urheberrechtlich geschützte Stellen lasse ich weg und ergänze Links im Text, wo man die fehlenden Passagen im Internet findet. Das Buch wird erst komplett durch das Zusammenwirken mit den Leserinnen und Lesern. Ich finde, das hat etwas Symbolisches. Wirtschaft beginnt mit Wir. Und deshalb ist es auch einfach, Systeme auszutricksen, die nur auf Geld und der Idee von individuellem Eigentum aufbauen. Du musst ihnen nur die Grundlage wegnehmen, dann sind sie nichts wert.
Silke Helfrich: Einfach? Darüber kann man trefflich streiten!
Van Bo Le-Mentzel: Du musst dem Kapitalismus – das Urheberrechtssystem ist einer seiner Katalysatoren – einfach nur das Preisschild wegnehmen, dann sind Markenschutz, Urheberrecht und kaufmännische Regeln irrelevant. Weder die Hartz-IV-Möbel noch die Karma Chakhs haben ein Preisschild. Du kannst sie nicht kaufen. Wenn Du sie haben willst, musst Du sie selber bauen oder in einer Produktionsgemeinschaft selber herstellen. Man sagt auch »prosumieren« dazu. Dagegen sind Vitra, IKEA, Converse oder klassische Verlagsstrategien machtlos.
Silke Helfrich: Und jetzt möchtest Du Dein eigenes Preisschild loswerden?
Van Bo Le-Mentzel: Ja, deswegen habe ich meine #dScholarship-Kampagne gestartet, um mich ein Jahr existentiell abzusichern. Die Grundidee ist, Leistung von Honorar zu entkoppeln. Ich bin dann nicht gezwungen für Geld zu arbeiten, sondern kann sinnvolle Dinge tun. Ich nenne das Karma-Arbeit. Ich habe früher als Freelancer für Illustrationen 250 Euro Tagesgage verlangt. Das Designbüro, bei dem ich exklusiv unter Vertrag bin, verlangt das Vier- bis Fünffache von ihren Kunden. Alles auf der Welt, nicht nur Güter, auch Rohstoffe, Menschen, Zeit, sogar Sternkonstellationen haben ein Preisschild bekommen. Das macht uns verrückt. Ich habe natürlich schon überlegt, wie es sein kann, dass andere Kollegen das Doppelte oder mehr bekommen für eine Leistung, die ich mindestens genauso gut erbringe. Der Volkswagenchef und der Chef der Techniker Krankenkasse verdienen weitaus mehr Geld als die Bundeskanzlerin. Leisten und arbeiten diese Leute so viel mehr?
Silke Helfrich: Du hast darum geworben, dass Dir unbekannte Menschen 375 Euro in der Woche bzw. 1.500 Euro pro Monat quasi schenken. Warum?
Van Bo Le-Mentzel: Weil ich ungefähr so viel zum Leben benötige. Ehrlich gesagt, ist das eine virtuelle Größenordnung, die ich mit meiner Frau abgesprochen habe. Momentan verdiene ich ja mit meiner Festanstellung weitaus mehr als 1.500 Euro. Ich habe ihr versprochen, dass ich das #dScholarship-Projekt nur dann mache, wenn mindestens 1.500 Euro pro Monat drin sind. Sie hat schon einen großen Schreck bekommen, als ich ihr sagte, dass ich die Privilegien eines unbefristet Festangestellten aufgeben möchte. Im Jahr 2015 werde ich dann keine Rechnungen mehr schreiben. Ich werde nur noch ohne Geld und Profitgedanken arbeiten. Ich nenne es bedingungsloses Grundarbeiten.
Silke Helfrich: Wenn alle immer nur noch machen, worauf sie Lust haben, wer macht dann die Drecksarbeit?
Van Bo Le-Mentzel: Tja, gute Frage. Wer macht die Drecksarbeit heute? Man zahlt Menschen, die auf Geld zum Überleben angewiesen sind, ein kleines Geld, und dann machen die alles: Klos putzen, in Bergwerken Erze abbauen, Sexarbeit, Baumwolle pflücken. In Indien fangen Frauen neuerdings an, gegen Geld Babys auszutragen. Das ist für mich keine Alternative. Freiwillig machen diese Menschen das nicht. Ich bin gespannt, ob ich 2015 freiwillig auch unschöne Arbeiten erledigen werde. Alles eine Frage der Einstellung. Als wir für Karma Chakhs Schuhe verpackten, habe ich diese stupide Arbeit zum Event erklärt: Packaging Party mit Musik und Buffet. In Seoul zur Fußball-WM haben die Menschen nach dem Public Viewing freiwillig die Straßen gesäubert. Es war ein Riesenhappening. Kulturarbeit macht Spaß. Zwangsarbeit nicht. Also sollten wir genau darüber nachdenken, wie man unschöne Arbeiten zu einer Kultur erklären kann. Und für den Rest sollten wir Maschinen entwickeln. Open Source versteht sich.
Silke Helfrich: Und die Gegenleistung für die, die Dich unterstützen?
Van Bo Le-Mentzel: Das ist das Verrückte und das Revolutionäre. Meine Stifterinnen und Stifter geben mir das Geld bedingungslos. Es gibt keine Gegenleistung. Das sind alle Geber-Typen. Sie wissen, was sie davon haben. Sie kennen das universelle Geheimnis des Geber-Netzwerkens.
Silke Helfrich: Aha, ich bin ganz Ohr.
Van Bo Le-Mentzel: Wer bedingungslos gibt, dem wird auch gegeben. Und zwar doppelt und dreifach. Geber profitieren vom Geben. Es klingt paradox, aber es ist so. In meinem Startnext-Profil steht genau, wieviel Geld ich schon anderen Crowd-funding-Kampagnen geschenkt habe: genau 6.000 Euro. Jetzt bekomme ich 18.000 Euro zurück. Das entspricht haargenau dem Dreifachen. Man bekommt es nicht unbedingt von den Leuten zurück, denen man selber geholfen hat. Deshalb ein universelles Geheimnis.5
Silke Helfrich: Und was machst Du, wenn jemand versucht Dich zu vereinnahmen?
Van Bo Le-Mentzel: Eine Stiftung hat mir 1.000 Euro angeboten, eine Unternehmerin sogar 12.000 Euro. Es ist klar, dass sich dahinter Kalkül verbirgt. Ich habe mich zuerst sehr gefreut, dann aber abgelehnt. Die Unternehmerin darf – wie alle anderen auch – maximal ein Viertel des gesamten #dScholarships stiften, das heißt 4.500 Euro. Und von Firmen nehme ich kein Geld an, sondern nur von Privatpersonen. Es geht ja darum, »das Genie in mir zu wecken«, und nicht darum, mich von einigen wenigen abhängig zu machen. Das Genie kommt, wenn kein Druck herrscht. In jedem von uns steckt dieses Genie. Bei den meisten Menschen wird es allerdings zum letzten Mal gesichtet, wenn sie in die Grundschule kommen. Deshalb versuche ich auch, dieses #dScholarship auf andere zu übertragen.
Silke Helfrich: Du sagst von Dir: »Ich bin ein Geber.« Und das #dScholarships diene Dir auch, um andere Geber kennenzulernen. Heißt das, wir können dieses andere Wirtschaften nur hinkriegen, wenn wir alle Geber werden und uns dann vernetzen?
Van Bo Le-Mentzel: Ich glaube, dass wir als Geberinnen und Geber geboren werden. Das liegt daran, dass das Leben selbst, die Befruchtung, die Geburt, die Erziehung nur funktioniert, wenn jemand (die Eltern und viele andere) bedingungslos geben. Das prägt uns Menschen. Und wir sind alle von Natur aus Teamplayer. Eine Geburt ist immer ein Teamplay. Erst die Schule, Zensuren, Konkurrenz, Druck, Stillsitzen, Gehorsam, Lehrpläne, macht aus uns ökonomisch denkende Wesen.
Silke Helfrich: Du liebst die Kontroverse…
Van Bo Le-Mentzel: Zumindest provoziere ich sie. Es gibt zwei Lager. Die einen sagen, ich sei ein egoistischer Spinner. Die anderen finden, ich sei ein selbstloser mutiger Pionier. Dazwischen gibt es irgendwie nichts.
1 | Van Bo Le-Mentzel hat erfolgreich sein komplettes Jahr 2015 per Crowdfunding finanzieren können. Seine Frage: Arbeiten die Menschen anders, kreativer, effizienter, wenn man sie von Existenzängsten und Druck befreit? Die Ergebnisse und Einsichten sind hier nachzulesen: https://www.startnext.com/dscholarship (Zugriff am 14. Mai 2015).
2 | Eine Website, die es jedem Menschen ermöglicht, eine anspruchsvolle eigene Website zu entwerfen: https://www.strikingly.com/ (Zugriff am 12. Januar 2015).
3 | Ein Etherpad ermöglicht es, mit oder ohne Registrierung direkt im Internet gemeinsam an Texten zu arbeiten. Mehrere Personen können gleichzeitig schreiben, alle sehen alles in Echtzeit. Änderungen können gesichert und so der Schreibprozess nachvollziehbar gemacht werden (Anm. der Hg.).
4 | Ein Geschmacksmuster ist beim deutschen Marken- und Patentamt (DPMA) anzumelden und gilt dann nur für die Bundesrepublik Deutschland. Um im elektronischen Geschmacksmusterblatt des DPMA eingetragen zu werden, bedarf es zunächst keines Nachweises der Neuheit und Erfindungshöhe. Bei Anfechtung hingegen schon. Gebrauchsmusterschutz gilt zunächst für 3 Jahre und kann auf bis zu 10 Jahre verlängert werden (Anm. der Hg.).
5 | Am 10.01.2015 veröffentlicht Van Bo Le Mentzel auf seinem Blog, dass er just zu Beginn seines crowdfinanzierten #dScholarships zum 01. Januar 2015 eine Vertretungsprofessur für sechs Monate bekam. Dazu schreibt er: »Die Professoren Jesko Fezer und Friedrich Von Borries von der staatlichen Kunstuniversität HFBK haben mich berufen. Für ein halbes Jahr, als Vertretung einer schwangeren Professorin. Was für ein Timing! Hier sind zwei Aspekte, die mir daran so gut gefallen: 1. Die Professur ist zeitlich begrenzt. Wachstums- und akademische Karrierepläne sind somit ausgeschlossen. Stellt Euch vor, wie ein Professor Lehre betreiben könnte, wenn er weiß, es gibt kein »Morgen«. Er kann seine komplette Kreativität in die Lehre stecken (…) 2. Ich brauche das Geld nicht! Dank des #dScholarships kann ich mit dem Professorenhonorar frei hantieren. Ich werde es unter den 18 Studierenden aufteilen. Jeden Monat gibt’s Cash von mir auf die Kralle. Meine Vorprofessorin hält das (wie vermutlich fast alle Professorenkollegen auf dieser Welt) für die falsche Entscheidung.« https://www.startnext.com/dscholarship/blog/ (Zugriff am 14. Mai 2015).