Die Welt der Commons

Muster des gemeinsamen Handelns

Farm Hack

Ideen für eine commons-basierte Landwirtschaft

Dorn Cox

In Boston, im US-Bundesstaat Massachusetts, trafen sich im Jahr 2011 Expertinnen und Experten aus den Bereichen Landwirtschaft, Design, Software-Entwicklung, Maschinenbau, Architektur, Robotik und Open Source, um über so einfache wie radikale Idee nachzudenken, ob ein stark vereinfachter Wissensaustausch nicht zu enormen Verbesserungen für die Landwirtschaft führen könnte. Wäre Agrartechnologie als Commons organisiert, so die Überzeugung, dann wäre es leichter, die Nahrungsmittelproduktion an lokale Bedingungen anzupassen, Produktionsprozesse nachzuahmen und sie besser auf externe Belastungen vorzubereiten. Solch ein System hätte nicht nur die Werte der Produzenten, sondern auch die einer größeren Community im Blick. Die in Boston versammelte Gruppe befand schließlich, dass die gemeinsame Entwicklung neuer Prototypen sowie der offene Zugang zu einem Wissensspeicher für die besten Ideen und Praktiken den Weg zu einer dezentralisierten und gerechteren Landwirtschaft und Wirtschaft weist.

Das war der Beginn von Farm Hack, einem ambitionierten Freiwilligen-Projekt, das die scheinbar so unterschiedlichen Kulturen von Technikern und Landwirten zusammen brachte. Den Auftakt ermöglichte ein Angebot des Massachusetts Institute of Technology (MIT), im Rahmen eines Seminars die Bedürfnisse der Bauern mit jenen der Techniker abzugleichen. Die National Young Farmers Coalition1 hatte bereits ein Blog namens »Farm Hack« gestartet. Bald folgten weitere Veranstaltungen, die gemeinsam mit GreenStart und dem Netzwerk Greenhorns2 organisiert wurden.

Durch persönliche Kontakte und die Vernetzung im Internet hat sich die Farm Hack Community rasch entlang der Ost- und Westküste der USA verbreitet. In nur drei Jahren entwickelte sie sich zu einer kollaborativen Plattform, an der Tausende aktiv beteiligt waren. Besucherinnen und Besucher von allen Kontinenten leisteten zehntausende Arbeitsstunden für den Aufbau und die Gestaltung dieser Plattform. So wurde Farm Hack zu einem schnell wachsenden Wissensarchiv für landwirtschaftlich relevante Ideen, Werkzeuge, Technologien und Praktiken samt zahlreichen offenen Bauplänen und Beschreibungen. Inzwischen steht Farm Hack für eine emergente, vernetzte Kultur gemeinschaftlicher Problemlösung.

»Hacken« ist die Kunst, pfiffige Lösungen für knifflige Probleme zu finden, indem Dinge auf ungewöhnlich-kreative Weise verändert und dadurch vielseitiger nutzbar werden. Hacken bedeutet auch, die Normen der Konsumkultur zurückzuweisen und eigene Wege zu gehen, um durch Modifikation und Improvisation zu neuen, leicht zugänglichen sowie anwenderorientierten Lösungen für spezifische Probleme zu finden.

Es überrascht nicht, dass die »Do it yourself«-Kulturen der Hacker- und »Maker« gut zur Bewegung für nachhaltige Landwirtschaft passen. Beide Bewegungen entstanden als Antwort auf die wiederholten hegemonialen Versuche, den Zugang der Nutzerinnen und Nutzer zu Technologien und anderen Ressourcen zu kontrollieren. Beide hatten verstanden, dass der freie Zugang zu Wissen die beste Strategie ist, um den Interessen der Industrie etwas entgegenzusetzen. Freier Wissensaustausch war immer schon Bestandteil nachhaltiger, bäuerlicher Kultur und ist besonders im ökologischen Landbau unabdingbar. Auf den meisten Höfen ist es gang und gäbe, ein Problem zu erkennen, sich eine Lösung zu überlegen, diese auszuprobieren, um zu prüfen, wie sie funktioniert, und anschließend über weitere Verbesserungen nachzudenken.

Innerhalb eines Jahres konnte man auf der Farm-Hack-Webseite die Beschreibung von mehr als einhundert neu entwickelten bzw. selbst gebauten Landwirtschaftsgeräten finden wie einem Knoblauchpflanzer oder die Rekonstruktion einer »ausgestorbenen« Hafer-Schälmaschine in einer für die kleinbäuerliche Landwirtschaft passenden Dimension. Entwürfe für den automatisierten Betrieb von Gewächshäusern durch ein Sensoren-Netz wurden ebenso dargestellt wie Modellvorhaben zur Produktion von Eiern nach ökologischen Kriterien. Die Stärke dieses Wissensaustausches zeigt sich an der Geschwindigkeit und dem Einfallsreichtum, mit dem die Geräte auf Farm Hack permanent verändert und verbessert werden. Eines der ersten Projekte für die Kontrolle von Gewächshäusern wandelte sich zunächst in eine Alarmanlage für elektrische Zäune, die sich gleich darauf zu einem automatisierten Datenerfassungssystem weiter entwickelte. Eine vom Rodale Institut in Pennsylvania zur Verfügung gestellte Open Source Ackerwalze für pfluglosen Ökolandbau wurde umgehend in New Hampshire eingesetzt, dann in Quebec und schließlich in Frankreich und Deutschland nachgebaut und weiterentwickelt. Die jüngsten Versionen, im Bundesstaat New York entstanden, basieren auf den deutschen und französischen Verbesserungen. Bei diesem Verfahren können Erfinder immer weniger vorhersagen, wofür ihr Werkzeug letztlich verwendet werden wird, weil sich die endgültige Verwendung erst aus dem gemeinsamen Prozess ergibt.

Die Organisation Farm Hack arbeitet zwar nur mit Freiwilligen und verfügte bis 2014 nicht über ein Budget, aber es gab Dutzende Partnerschaften mit Organisationen, Universitäten sowie Open-Source- und Maker-Communities in den USA und in Europa. Zusätzlich zum Online-Forum, der Wissenssammlung und den Werkzeuginnovationen der Community organisiert Farm Hack Online-Veranstaltungen und persönliche Begegnungen, um die Dokumentation voranzubringen und die Werkzeuge zu verbessern sowie den Informationsaustausch und das gemeinsame Lernen zu fördern. Diese Zusammenkünfte folgen ganz der bäuerlichen Tradition, in der sich partizipatives Lernen mit gutem Essen und Trinken sowie der Pflege sozialer Beziehungen verbindet.

Mit der Community wuchsen auch die Kosten für Organisation, Koordination, Kommunikation und Ideenaustausch. Zudem waren nun auch Prozesse zu moderieren und zu leiten oder neue Mitglieder zu betreuen. Das Startkapital kam auf indirektem Weg aus den institutionellen Budgets der Gründungspartner, ergänzt durch die Beiträge der Freiwilligen. Doch es dauerte drei Jahre bis die erste Basisfinanzierung eingeworben werden konnte.

Im dritten Jahr führte Farm Hack zehn Prinzipien ein, um den Herausforderungen zu begegnen, die mit dem ständigen Wachstum verbunden waren. Die Mitglieder wollten die typisch landwirtschaftliche Kultur der Offenheit trotz zunehmender Interaktion mit etablierten Institutionen der Macht erhalten. Eine flexible Struktur, die die Zusammenarbeit erleichtert und sich rasch entwickelnde Instrumente, die diese Zusammenarbeit auch über große Entfernungen hinweg unterstützen, waren für die weitere Organisationentwicklung besonders wichtig, wobei flache Hierarchien und Spontaneität nicht verloren gingen. Eines dieser Instrumente, das gerade von und für die Community entwickelt wird, ist eine Vorlage mit »best practices« für die Vertragsgestaltung in Open-Source-Projekten. Sie soll helfen, mit den Spannungen umzugehen, die entstehen, wenn bezahlte und unbezahlte Menschen zusammenarbeiten. Dabei geht es um den Umgang mit Spenden oder anderen Zuwendungen, um die Anerkennung von freiwilligen Leistungen, das Zusammenlegen von Honoraren oder das zeitweilige Zurückhalten derselben in Projekten.

Open Source trifft bäuerliche Kultur

Bei Farm Hack mischen sich alte und neue Denktraditionen: die Ideale der Aufklärung des 18. Jahrhunderts mit denen der Open-Source-Bewegung. Beide gehen davon aus, dass es in der Natur des Wissens liegt, frei zu sein. Farm Hack bezieht sich zudem auf die physiokratische Sicht des Umgangs mit der Natur wie sie Quesnay, Jefferson, Locke und Franklin formuliert haben. Für sie waren die Produktivität des Bodens und eine gebildete Bevölkerung, die für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen kann, Voraussetzungen für Freiheit und kulturellen Reichtum. Aus dieser Perspektive ist die landwirtschaftliche Produktion nicht nur eine Beschäftigung, sondern Grundlage einer nachhaltigen zivilisatorischen Kultur. Sie ist konstitutiv für die gemeinsamen kulturellen Werte einer Gesellschaft.

Lange vor dem Internetzeitalter haben die Denker der Aufklärung auch die Idee des Crowdsourcing bereits vorweggenommen. Die zuerst 1751 auf Französisch erschienene Enzyklopädie oder Ein durchdachtes Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Handwerke3, war das Werk einer Wissenschaftsgemeinde von mehr als 2250 Autoren. Mehr als 250 Jahre später treibt die Open-Source-Community die Entwicklung von digitalen Hilfsmitteln voran, die Zusammenarbeit und Vertrauen gleichermaßen fördern: Wikis, Internet-Foren oder Online-Dokumente, an denen mehrere Menschen gleichzeitig arbeiten können. Dass sich Farm Hack an Modellen orientiert, die auf freiwilliger Reziprozität beruhen, fordert implizit die Normen konventioneller Agrarwirtschaft und -forschung heraus. Sowohl die Themenstellungen konventioneller Forschung und Entwicklung werden hinterfragt als auch jene, die die Fragen stellen, sowohl die Art der produzierten Werkzeuge und Instrumente als auch deren Finanzierung.

Abbildung 1: Ein alternatives Landwirtschaftsmodell

Abbildung 1: Ein alternatives Landwirtschaftsmodell

Quelle: Gemeinfreie Enzyklopädie des praktischen landwirtschaftlichen Wissens, herausgegeben von Sears und Roebuck, 1918, https://archive.org.

Die Farm-Hack-Community ist überzeugt, dass Werkzeuge, Saatgut und Landwirtschaftstechnik so produziert werden sollten, dass die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer im Mittelpunkt stehen und nicht nur derjenigen, die sie verkaufen wollen. Durch gemeinsame Suchprozesse ist es Farm Hack gelungen, vorindustrielle Ideale mit der modernen Hacker/Maker-Kultur zusammenzuführen und die Kultur in dieser Verbindung zu erweitern. Diese offene Kooperation birgt das Potenzial, dass jeder Bauernhof zu einem Forschungslabor werden kann und jeder Nachbar ein Gerätebauer, weil er sich aus einem globalen Fundus von Fähigkeiten und Bauplänen bedienen kann.

Durch die umfassende Dokumentation und die Freigabe der Baupläne von landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen sowie deren permanente Weiterentwicklung etabliert Farm Hack die Landwirtschaft nicht nur als eine gemeinsame wirtschaftliche Tätigkeit. Das Projekt dient auch als Vorbild für ein alternatives, lokales Produktionsmodell, das zu mehr Wahlfreiheit, Kontrolle und Selbstbestimmung führt. Die Grenzen der Landwirtschaft definieren sich nicht mehr negativ über die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, sondern positiv über die zunehmende Virtuosität und das immer bessere Verständnis aller Beteiligten für das Gesamtsystem. Bauern lernen, wie sie die komplexen bio-geo-chemischen Ströme an Kohlenstoff, Stickstoff und Wasser besser für produktive und resiliente agro-ökologische Systeme nutzbar machen können. Der Schwerpunkt verschiebt sich von effizienter Ausbeutung der Ressourcen zu deren verbesserter Regeneration.

Im Gegensatz dazu kann man die proprietär organisierte Forschung und Entwicklung sowie den darauf beruhenden Handel in der konventionellen Landwirtschaft als gescheitert betrachten. Steriles Saatgut oder durch Chemikalieneinsatz zerstörte Böden zeigen, dass sie in Sackgassen führen. Zudem ist dieses Modell von Technologien abhängig, die nicht geteilt, angepasst oder nachgebaut werden können, was zu künstlichen Ineffizienzen führt, deren Hauptzweck es ist, das proprietäre Geschäftsmodell zu schützen. Erst wenn man erkennt, dass auf Bauernhöfen tagtäglich mehr Innovation geschieht als in den Universitäten und Forschungslabors dieser Welt, kann dieser Ansatz überwunden werden. Weil aber die Idee der Knappheit in den Köpfen der Menschen stark verankert ist, gelangen nur wenige dieser Innovationen über das Hoftor hinaus, um größere Wirkung zu entfalten und weiterentwickelt zu werden. Wenn es gelingt, dieses Denken zu überwinden, sowie regionsübergreifend Vertrauen sowie interdisziplinäre Kooperationen innerhalb der Landwirtschafts-Gemeinde zu stärken, dann kann eine innovationsfördernde Kultur des Teilens von Wissen Kraft entwickeln. Genau das ist bei Farm Hack geschehen und hat zu seinem robusten Wachstum geführt. Die Beteiligten haben verstanden, dass die jeweils anderen Bauern nicht ihre Konkurrenten sind, sondern dass sie von den globalen Akteuren oder den klimatischen Bedingungen herausgefordert werden.

Ein weiterer Erfolgsfaktor war, dass Farm Hack auf Netzwerkstrukturen und Software zurückgreifen konnte, die zuvor von anderen Open-Source-Communities entwickelt worden waren. Dazu gehören die Blog-Software Drupal oder die Wikipedia-Angebote zur Online-Kollaboration Open Layers, eine JavaScript-Bibliothek, mit der Geodaten im Webbrowser angezeigt werden können, oder die Server-Software von Apache. Indem Farm Hack die eigenen Beiträge in die Commons zurückgibt, kann die Community über den eigenen Tellerrand hinaus Vertrauen aufbauen und bereits Vorhandenes für die eigenen Zwecke umgestalten.

Darüber hinaus stützt sich Farm Hack auf das sogenannte »Collective Impact Framework«, um komplexe Kooperationsprozesse zu strukturieren und dafür Werkzeuge zu nutzen, mit denen wir gemeinsame Pläne erstellen sowie Arbeits- oder Forschungsergebnisse konsistent bewerten können. Darüber erhalten wir eine kontinuierliche Kommunikation auch mit vielen verschiedenen Teilnehmenden aufrecht (Kania und Kramer 2011). Die Online-Plattform von Farm Hack ist ein Prototyp für die Umsetzung dieses Denkrahmens und die Anwendung der Open-Source-Logik in der Landwirtschaft.

Im Jahr 1726 schrieb Jonathan Swift den berühmten Satz: »Wer bewirken könnte, dass auf demselben Fleck Erde zwei Ähren Korn oder zwei Halme Gras wachsen, wo vorher nur eines gedieh, der diente der Menschheit besser und leistete seinem Vaterland wesentlichere Dienste als die Gesamtheit aller Politiker.« In diesem Gedanken spiegelt sich die noch unvollendete, aber zunehmend sichtbare Leistung von Farm Hack: Indem es Open-Source-Archive für Wissen und Technologien schafft, umgeht es die herrschenden politischen und ökonomischen Strukturen, die die Macht der Agro-Industrie stützen. Farm Hack verschiebt das Verhältnis zwischen denen, deren Macht aus der Kontrolle über knappe Ressourcen und Wissen hervorgeht, zugunsten jener, die ihre Kreativität mit natürlichen Prozessen verbinden, um Fülle für alle zu schaffen.

Literatur

Kania, J., und M. Kramer (2011): »Collective Impact« in: Stanford Social Innovation Review, Ausgabe 73, Winter 2011, www.ssireview.org/articles/entry/collective_impact.

Dorn Cox ist Landwirt in Lee (New Hampshire/USA). Er befasst sich mit Open-Source-Forschung und -Entwicklung im Kontext der Landwirtschaft und ist unter anderem Gründungsmitglied von Farm Hack, der New England Farmers Union, GreenStart und der Oyster River Initiative für Agro-Treibstoffe. Cox hat an der Universität von New Hampshire promoviert.

1 | Die Organisation setzt sich dafür ein, dass junge Menschen, die ökologische, kleinbäuerliche Landwirtschaft betreiben wollen, auch Bedingung vorfinden, die ihnen erlauben, davon zu leben.

2 | Das Netzwerk verfolgt ähnliche Ziele wie die National Young Farmers Coalition, erstellt Informationsmaterialien (on- und offline) und führt eigene Veranstaltungen durch: www.thegreenhorns.net/ (Zugriff am 14. Mai 2015).

3 | Auf französisch: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, herausgegeben von Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d’Alembert.