Die Welt der Commons

Muster des gemeinsamen Handelns

Commons im Pluriversum

Arturo Escobar

Commons und Welten

Commons existieren in Welten. Lange bevor das Privateigentum sich anschickte, Territorien zu verschlingen, brachten die Menschen das hervor, was wir heute Commons nennen. Es war ihre wichtigste Strategie, diese Welten zu gestalten. Sie bestanden aus menschlichen und nicht-menschlichen, lebendigen und leblosen, materiellen Formen und spirituellen Wesen – unentwirrbar ineinander verschlungen, miteinander verknüpft und bis heute überdauernd.

Der kolumbianische Soziologe Orlando Fals Borda (1984) beschreibt am Beispiel der karibischen Küstenregion Kolumbiens, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Einführung des Stacheldrahts in der Viehzucht die Bewegungsradien von Menschen und Tieren beschnitt, Landschaften vereinheitlichte und in manchen Gegenden sogar Feuchtgebiete und Lagunen austrocknen ließ. Trotzdem zeigten die Menschen dieser Region sich widerständig und versuchten, ihre Commons immer wiederherzustellen. Sie bemühten sich immer wieder neu um jene sinnliche Ganzheit, die Raoul Vaneigem als Opfer der Wirtschaft beschreibt: »Die Wirtschaft ist überall dort, wo das Leben nicht ist […] Die Wirtschaftswissenschaft ist die langlebigste Lüge der etwa zehn Jahrtausende, die fälschlicherweise als Geschichte betrachtet werden […] Mit dem Eindringen der Arbeit verliert der Körper seine sinnliche Ganzheit […] Arbeit existierte von dem Moment an, als ein Teil des Lebens in den Dienst der Wirtschaft gestellt und der andere Teil verleugnet und unterdrückt wurde« (Vaneigem 1994: 17-28).

Trotz der Herausforderungen und der verschwindend geringen Erfolgschancen konnten die von Fals beschriebenen Menschen der Karibik weiterhin ihre eigene Welt zum Leben erwecken. Sie schufen mit ihrem Handeln Welten, in denen Commons bzw. das »Commoning« möglich waren. Commoners sind nun einmal so. Sie weigern sich, die Regeln dieser Eine-Welt-Welt (EWW) hinzunehmen, in der es darum geht, alles so zu organisieren, dass es zu Individuen, Privateigentum, Märkte und Gewinne passt und auf eine einzige Vorstellung von Wirklichkeit Bezug nimmt. Diese Eine-Welt-Welt versucht, die Natur und das Heilige aus der Domäne eines ausschließlich von Menschen gesteuerten Lebens zu verbannen (Law 2011).

Wer auf Commoning besteht, widersetzt sich dieser Zivilisation (kapitalistisch, säkular, liberal, patriarchalisch, weiß), die für sich selbst das Recht beansprucht, »die Welt« zu sein, und die alle anderen Welten als inexistent betrachtet oder zur unglaubwürdigen Alternative reduziert (Santos 2002). Auch hier ist Vaneigem lehrreich: »Die Zivilisation wurde als einer universellen und ewigen Marktbeziehung untergeordnet definiert […] Die Ware ist die ursprüngliche Form der Umweltverschmutzung. […] Die Natur kann nicht von der Wirtschaft befreit werden, bis die Wirtschaft aus dem menschlichen Leben vertrieben worden ist … (Von dem Moment an, wenn das Marktsystem die Früchte der Erde minimiert, indem es sie ausschließlich in Bezug auf die Früchte der Arbeit betrachtet, behandelt das Marktsystem die Natur als Sklavin.) […] Wird der Griff der Wirtschaft schwächer, dann ist das Leben besser in der Lage, sich einen eigenen Weg zu bahnen« (Vaneigem 1994).

Diese Tatsache ist den meisten mit ihren Territorien verbundenen Menschen (»pueblos-territorio«)1 dieser Welt schon immer offensichtlich gewesen. Eine Aktivistin des Process of Black Communities of Colombia formulierte es so: »Das Territorium hat keinen Preis. Unsere Ahnen pflegten es mit einem starken Zugehörigkeitsgefühl. Deswegen müssen wir unsere Wirtschaften nicht von außen nach innen schaffen, sondern umgekehrt: von innen nach außen.«2 Auch die Welt, von der diese Aktivistin spricht, hat überlebt – auch hier waren die Chancen verschwindend gering – und doch: Besuchen wir für einen Moment diese Welt.

Yurumanguí: Einführung in relationale Welten

Stellen wir uns eine scheinbar einfache Szene an der südkolumbianischen Pazifikküste vor, am Yurumanguí-Fluss im Regenwaldgebiet. Der Fluss strömt von den westlichen Anden in Richtung Pazifik und durchquert eine Gegend, in der hauptsächlich Gemeinschaften wohnen, die afrikanischer Herkunft sind.3 Ein Vater und seine sechsjährige Tochter paddeln am späten Nachmittag in ihren »potrillos« – der lokalen Form des Einbaums – scheinbar nur flussaufwärts. Sie nutzen dabei die ansteigende Flut. Vielleicht kehren sie heim, nachdem sie die tagsüber geernteten Kochbananen und den Tagesfang flussabwärts in die Stadt gebracht und von dort Dinge wie Rohrzucker, Brennstoff zum Kochen, Salz oder Schreibhefte für die Kinder mitgebracht haben.

Auf den ersten Blick könnten wir sagen, dass der Vater seine Tochter in eine wichtige Fertigkeit »hineinsozialisiert«, indem er ihr zeigt, den »potrillo« richtig zu lenken. Wer in der Region lebt, ist auf den Verkehr der »potrillos« durch die Flüsse, Mündungsgebiete und Mangrovenwälder angewiesen.

Diese Interpretation ist in mancherlei Hinsicht richtig, doch es geschieht zugleich noch etwas anderes. Wenn die Menschen dieser Gegend vom Flussterritorium sprechen, dann sagen sie: »Acá nacimos, acá crecimos, acá hemos conocido qué es el mundo« (»Hier wurden wir geboren, hier sind wir aufgewachsen, hier haben wir verstanden, was die Welt ist.«). Durch dieses »Geboren werden – Aufwachsen – Kennenlernen« bringen sie vielfältige soziale Praktiken entsprechend ihrem Territorium hervor, seit sie »libres« (freie, nicht versklavte Völker) sind und mit den übrigen Lebewesen dieser Wald- und Mangrovenwelten verknüpft wurden.

Reisen wir zu diesem Fluss, tauchen wir tief in diese Welt ein. Erleben wir sie aus der Perspektive der »Relationalität«, dieses besonderen Beziehungsgefüges, dann kann eine ganz eigene Art des Welt-Erzeugens4 wahrnehmbar werden. Wenn wir aufmerksam die vielfältigen Beziehungen beobachten, die diese Welt zu der machen, die sie ist, dann sehen wir: Der Vater hat den »potrillo« mit dem von seinen Vorfahren überlieferten Wissen aus einem Mangrovenbaum hergestellt; die Bewohnerinnen und Bewohner kennen den Mangrovenwald in- und auswendig; mit großer Leichtigkeit durchqueren sie das verästelte Mündungsgebiet, das die Flüsse und das Meer bilden; wir beginnen, die schier endlosen Verbindungen wahrzunehmen, die diesen »aquatischen Raum« (Oslender 2008) in der Gezeitenzone zusammen- und in permanenter Bewegung halten, einschließlich der Verbindungen zum Mond und zu den Gezeiten, die eine nicht-lineare Zeitlichkeit in die Welt bringen. Der Mangrovenwald umfasst viele relationale Einheiten, zu denen Mineralien, Mollusken, Nährstoffe, Algen, Mikroorganismen, Vögel, Pflanzen und Insekten – Leben unter Wasser, auf dem Boden und in der Luft – zu zählen sind. Ethnografinnen und Ethnografen beschreiben dies als drei nicht voneinander getrennte Welten: die Infrawelt, die Welt, in der wir uns bewegen, und die Suprawelt. Zwischen ihnen ist ein Kommen und Gehen, bestimmte Orte und Wesen, darunter »Visionen« und spirituelle Wesen, verbinden sie miteinander. Dieser gesamte Zusammenhang wird mündlich weitergegeben – in Geschichten, Gesängen und Poesie.

Dieses dichte Netzwerk von Verflechtungen könnte man als »relationale Ontologie« bezeichnen. Die Mangrovenwelt, um sie prägnanter zu benennen, entfaltet sich Minute um Minute und Tag um Tag durch unendlich viele Praktiken aller möglichen Wesen und Lebensformen in einer komplexen organischen und anorganischen Materialität von Wasser, Mineralien, Salzgehalten, Energieformen (Solar-, Gezeiten-, Mondenergie) und vielem mehr. Ihren Verflechtungen ist etwas eigen, das an ein Rhizom erinnert. Sie sind unmöglich auf einfache Art und Weise zu verfolgen; und sie sind nur sehr schwierig, wenn überhaupt, kartier- und vermessbar; vielmehr enthüllt sich eine gänzlich andere Art des Seins und Werdens im jeweiligen Territorium.

Solches Erleben und Erfahren bestimmt relationale Welten und Ontologien. Abstrakt formuliert, existiert in einer relationalen Ontologie nichts vor den Beziehungen, die sie ausmachen. Mit anderen Worten: Dinge und Wesen sind ihre Beziehungen; sie existieren nicht vor den Beziehungen.

Der Anthropologe Tim Ingold spricht über »Welten ohne Objekte« (2011: 131), die stets in Bewegung sind und aus Materialien bestehen, die ihrerseits in Bewegung, im Fluss und im Werden sind; in diesen Welten machen Lebewesen aller Art die Lebensbedingungen der jeweils anderen aus; sie »verweben sich miteinander, um ein immenses und sich stets weiterentwickelndes Geflecht zu bilden« (2011: 10).

Wenn wir nun zu der Szene am Fluss zurückkehren, könnte man sagen, dass »Vater« und »Tochter« ihre unmittelbare Umgebung nicht durch distanzierende Reflexion kennenlernen, sondern durch ihren Umgang mit ihr, also dadurch, dass sie ihrer Welt gegenüber lebendig sind. Diese Welten verlangen keine Trennung zwischen Natur und Kultur, um zu existieren – tatsächlich bringen soziale Praktiken, die nicht auf dieser Trennung beruhen, diese Welten erst hervor. In einer relationalen Ontologie »sind Wesen nicht einfach auf der Welt«, vielmehr bewohnen sie sie, und sie tragen zu diesem sich stets weiterentwickelnden Gewebe bei, indem sie ihre eigenen Pfade durch das Maschenwerk weben« (Ingold 2011: 71). Commons existieren in relationalen, nicht in reglosen Welten, die man sich vorstellt, als würden sie die Anwesenheit von Menschen erwarten.

Auch wenn die Beziehungen, die dafür sorgen, dass die Mangrovenwelt stets im Werden ist, sich permanent verändern, so resultiert ein merklicher Eingriff in diese Beziehungen doch im Verfall solcher Welten. Das gilt für die industrielle Garnelenzucht genauso wie für Ölpalmplantagen, die Biokraftstoffe produzieren sollen. Beides hat in den tropischen Regionen stark zugenommen; dabei werden Marktsysteme oft auf Kosten der Mangroven und Feuchtgebiete etabliert und verwandeln angeblich »wertlosen Sumpf« in agroindustrielle Komplexe (Ogden 2012; Escobar 2008). Hier spielt natürlich die Eine-Welt-Welt eine Rolle: die Verwandlung von allem, was in der Mangrovenwelt existiert, in »Natur« und von »Natur« in »Ressourcen«; das Auslöschen der lebensermöglichenden Materialität der gesamten Domäne des Anorganischen und Nicht-Menschlichen und seine Verwandlung in »Objekte«, die besessen, zerstört oder ausgebeutet werden können; sowie das Einflechten derart transformierter Waldwelten in »Weltmärkte«, um Profite zu generieren. Die fortschreitende Zerstörung der Mangrovenwelt verdeutlicht den unersättlichen Appetit der Eine-Welt-Welt, die ontologische Vereinnahmung und die Verwandlung durch Kapital und Staat (Deleuze und Guattari 1992). Kurz: Die Eine-Welt-Welt verweigert der Mangrovenwelt die Möglichkeit, als solche zu existieren.

Territorialität, Anzestralität und Welten

Alte wie junge Aktivistinnen und Aktivisten in vielen Küstengemeinschaften der ganzen Welt drücken wortgewandt aus, warum sie ihre Welten sogar um den Preis des eigenen Lebens verteidigen. Eine Frau aus der Gemeinschaft La Toma im Südwesten Kolumbiens, die sich seit 2008 gegen den Goldabbau zur Wehr setzt, sagte: »Es ist völlig klar, dass wir solchen Monstern wie den transnationalen Konzernen und dem Staat die Stirn bieten. Niemand ist bereit, das eigene Territorium zu verlassen. Vielleicht komme ich hier ums Leben, aber weggehen werde ich nicht.«5

Diese Haltung steht im Kontext einer langen Geschichte von Herrschaft und Widerstand, und daraus – das ist essenziell – wird Commoning als ontologisch-politische Praxis verstehbar. So ist Menschen in La Toma bewusst, dass sie seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ununterbrochen in diesem Territorium präsent sind. Das sagt viel darüber, was sie »Anzestralität« nennen. Sie beziehen sich damit auf das Mandat ihrer Vorfahren, das sie für die Kämpfe von heute inspiriert, im Gedächtnis der Ältesten fortbesteht und über Oral History und wissenschaftliche Forschung umfangreich dokumentiert ist (Lisifrey et al. 2013). Dieses Mandat wird in mündlich überlieferter Poesie und Gesängen engagiert gewürdigt: »Del Africa llegamos con un legado ancestral; la memoria del mundo debemos recuperar« (»Aus Afrika sind wir mit einem Erbe unserer Vorfahren angekommen; wir müssen die Erinnerung an die zurückholen«).6 Statt bloß als unhintergehbare Verbindung mit der Vergangenheit begriffen zu werden, sollte man Anzestralität von einem lebendigen Gedächtnis ableiten, das sich an der Zukunft orientiert: Es streitet für Bedingungen, die es den Menschen erlauben, mit ihrer eigenständigen Existenzweise fortzubestehen.

In relationalen Welten sind die Verteidigung des Territoriums, des Lebens und der Commons ein und dasselbe. Das ist die ontologische Dimension des Commoning. So gesehen kann die Argumentation dieses Beitrags auch so lauten: Das Fortbestehen von Gemeinschaften, Commons und (sozialen) Bewegungen sowie die Kämpfe zur Verteidigung und steten Neukonstituierung der Commons können als ontologisch beschrieben werden. Das trifft besonders auf jene Kämpfe zu, die eine explizit ethno-territoriale Dimensionen beinhalten.

Obwohl die Besetzung von Territorien ökonomische, technologische, kulturelle, ökologische und nicht selten militärische Aspekte umfasst, ist ihre grundlegendste Dimension doch ontologisch. So gesehen, besetzt die Ontologie Territorien und Commons und damit zugleich die Ontologie der Eine-Welt-Welt der Individuen und Märkte, die versucht, alle anderen Welten zu einer einzigen zu formen; auch so lässt sich die historische Einhegung der Commons interpretieren. Indem sie mit der Durchsetzung der »Einen Welt« brechen, bringen viele indigene, afrikastämmige, bäuerliche sowie arme städtische Gemeinschaften ontologische Kämpfe voran. Diese Auseinandersetzung um den Erhalt multipler Welten – dem Pluriversum – drückt sich am besten im zapatistischen Spruch »Un mundo donde quepan muchos mundos« aus: »eine Welt, in die viele Welten passen«. Viele dieser Welten können daher als Kämpfe um das Pluriversum betrachtet werden.

Ein weiterer klarer Fall der ontologischen Besetzung von Territorien findet sich am südlichsten Zipfel der kolumbianischen Pazifikküste in der Umgebung der Hafenstadt Tumaco. Seit Anfang der 1980er Jahre wurden hier der Wald zerstört und Gemeinschaften vertrieben, um für Ölpalmplantagen Platz zu machen. In den 1970er Jahren waren Ölplantagen noch unbekannt; bis Mitte der 1990er Jahre umfassten sie mehr als 30.000 Hektar. Die Monotonie der Plantage – eine Art grüne Wüste, Palmenreihe neben Palmenreihe, soweit das Auge reicht – hat die vielfältige, heterogene und verwobene Welt von Wald und Gemeinschaften ersetzt.

Diese dramatische Veränderung hat zwei wichtige Aspekte: Erstens, die »Plantagenform« vernichtet die sozioökologischen Beziehungen der Waldwelt. Die Plantage entsteht aus einer dualistischen Ontologie der Dominanz des Menschen über die sogenannte »Natur«, die als auszubeutende »Ressourcen« oder »inerter Raum« begriffen wird. Das berechtigt zu der Behauptung, dass die Plantage ein äußerst wirksames Mittel der ontologischen Besetzung und letztlich der Ausradierung der lokalen relationalen Welt ist. Aus der Perspektive der Waldwelt ist diese Plantagenform undenkbar. In einer Plantagenwelt nehmen Waldnutzungs- und -kultivierungspraktiken eine völlig andere Form an, sie ähneln eher der Agro-Forstwirtschaft. Auch die Landschaft ist, selbstredend, eine gänzlich andere. Nicht weit von den Ölpalmplantagen entfernt verwandelte die industrielle Garnelenzucht in den 1980er und 1990er Jahren auch die Mangrovenwelt in eine disziplinierte Abfolge rechteckiger Becken, die »wissenschaftlich« gemanagt werden. Diese Art der Garnelenzucht ist stark umweltverschmutzend und zerstörerisch, besonders in den Mangrovensümpfen (Escobar 2008).

Commons jenseits von Entwicklung

Die ontologische Besetzung von Commons und Welten geschieht häufig im Namen der sogenannten »Entwicklung«. Entwicklung und Wachstum gehören nach wie vor zu den weitverbreitetsten Konzepten in Wirtschaft und Politik. Dabei haben Kulturkritikerinnen und Kulturkritiker bereits Mitte der 1980er Jahre in Frage gestellt, wie die Grundannahmen, auf denen das Entwicklungskonzept beruht: darunter Wachstum, Fortschritt und instrumentelle Vernunft. Die Kritik war schließlich 1992/93 mit der Publikation des Sammelbandes Wie im Westen so auf Erden. Ein polemisches Handbuch zur Entwicklungspolitik (Sachs 1993) den Kinderschuhen entwachsen. Das Buch begann mit der erstaunlichen Behauptung: »Die letzten vierzig Jahre kann man als Zeitalter der Entwicklungspolitik bezeichnen. Aber diese Epoche geht zu Ende, und es wird Zeit, einen Nachruf zu formulieren« (ebd.). Doch wenn Entwicklung tot war, was sollte ihr folgen? Manche begannen von einer »Postdevelopment-Ära« zu sprechen (Rahnema 1997). Degrowth-Theoretikerinnen und -Theoretiker, insbesondere Serge Latouche (2009), trugen dazu bei, diese Perspektive im Norden zu verbreiten.

Ein wichtiges Postdevelopment-Argument ist, dass es Aktiven und politischen Entscheidungsträgern möglich sei, über das Ende der Entwicklung nachzudenken und anstatt Entwicklungsalternativen fortan die Alternativen zur Entwicklung zu betonen. Diese Idee ist in den letzten Jahren mit den südamerikanischen Vorstellungen von Buen Vivir7 und den Rechten der Natur konkreter geworden. Als ganzheitliche Sicht des sozialen Lebens definiert, die der Wirtschaft nicht länger eine übergeordnete Bedeutung zumisst, ist Buen Vivir eine Alternative zur Entwicklung, und stellt als solche eine mögliche Antwort auf die inhaltlichen Kritiken des Postdevelopment dar (Gudynas und Acosta 2011). Knapp zusammengefasst, entwickelte sich Buen Vivir aus den Kämpfen für sozialen Wandel von Bäuerinnen und Bauern, aus Afrika abstammenden Menschen, Umweltschützerinnen und -schützern, Studierenden, Frauen und jungen Menschen. Indem es indigene Ontologien aufgreift, beinhaltet Buen Vivir eine andere Philosophie des Lebens, die ökonomische Ziele ökologischen Kriterien, der Menschenwürde und der sozialen Gerechtigkeit unterordnet. Degrowth, Commons und Buen Vivir sind so gesehen »Reisegefährten«.

Buen Vivir steht im Einklang damit, dass das »Zivilisationsmodell« der globalisierten Entwicklung in viel umfassenderem Maße in Frage gestellt wird. Die Krise dieses westlichen »modelo civilizatorio« wird von vielen Bewegungen als eigentliche Ursache der aktuellen Klima-, Energie-, Armuts- und Sinnkrise ins Feld geführt. Besonders betonen dies ethnische Bewegungen, aber auch kleinbäuerliche Netzwerke wie Via Campesina. Für sie kann nur eine Verlagerung hin zur agroökologischen Nahrungsmittelproduktion einen Weg aus den Klima- und Lebensmittelkrisen weisen. Buen Vivir ist eng mit dem Rahmenkonzept der »Übergänge zum Postextraktivismus« verwandt, das in vielen Ländern Südamerikas diskutiert wird (Alayza und Gudynas 2011; Gudynas 2011; Massuh 2012). Ihr Ausgangspunkt ist eine Kritik der Intensivierung extraktivistischer Modelle, die auf intensiven Bergbau, Nutzung fossiler Brennstoffe oder extensiver Landwirtschaft, insbesondere dem Anbau von Biokraftstoffen wie Soja, Zuckerrohr oder Palmöl, beruhen. Gleichgültig, ob sie die Form konventioneller – oft brutaler – neoliberaler extraktivistischer Politiken in Ländern wie Kolumbien, Peru oder Mexiko einnehmen oder die des Neoextraktivismus von Mitte-Links-Regierungen – beide legitimieren den Extraktivismus als effiziente Wachstumsstrategie.

Wir haben es also mit einem Übergang von Eine-Welt-Konzepten wie »Globalisierung« zu Pluriversums-Konzepten zu tun, die aus einer Vielzahl miteinander verwobener und sich gegenseitig konstituierender, dennoch eigenständiger Welten bestehen (Blaser 2010). Viel spricht dafür, dass die Eine-Welt-Doktrin ins Wanken gerät. Die Auseinandersetzungen zur Verteidigung von Bergen, Landschaften und Wäldern, die von einer relationalen (nicht dualistischen) sowie pluriversalen Auffassung des Lebens ausgehen, werden sichtbar. Sie sind ein Ausdruck der Krise der Eine-Welt-Welt. Santos hat diese Sachlage eindrucksvoll beschrieben: »Wir sind mit modernen Problemen konfrontiert, für die es nicht länger moderne Lösungen gibt« (Santos 2002: 13).

All das ergibt ein ergiebiges Feld für die Commons-Forschung. Einerseits müssen die Bedingungen verstanden werden, unter denen die Welt der neoliberalen Globalisierung ihre Herrschaft aufrecht erhält, und andererseits können die Projekte beschrieben und verstanden werden, die auf anderen Arten des »Welt-Erzeugens« fußen. So ließen sich die sozioökologischen Prozesse begreifen, die die gemeinschaftliche Gestaltung einer eigenständigen Realität möglich machen und das Eine-Welt-Projekt schwächen könnten, während sie sich zugleich weiter verbreiten.

Die Idee des Pluriversums, dies sollte klar geworden sein, speist sich aus zwei Hauptquellen: der theoretischen Kritik am Dualismus und der Beharrlichkeit von pluriversalen, mithin nicht-dualistischen Welten (oft auch als »Kosmovisionen« bekannt), die uns eine tiefgreifend relationale Auffassung vom Leben spiegeln. Bemerkenswerte Beispiele sind unter anderem Muntu und Ubuntu in Teilen Afrikas, die Pachamama oder Mama Kiwe bei indigenen Völkern Südamerikas, Kosmologien der Ureinwohnerinnen und Ureinwohner der USA und Kanadas und die gesamte buddhistische Geistesphilosophie. Beispiele sind auch im Westen zu finden, als »alternative westliche Modelle« oder nicht-dominante Formen der Moderne. Manche der aktuellen Auseinandersetzungen in Europa, beispielsweise zu Commons, Energiewenden und der Re-Lokalisierung der Nahrungsmittelproduktion, könnten auch so gelesen werden, dass es darum geht, sich wieder mit dem Strom des Lebens zu verbinden. Denn all dies sind auch Formen des Widerstands gegen die dominante Ontologie der kapitalistischen Moderne.

Commons und die Wege zum Pluriversum

In wirtschaftlicher, kultureller und militärischer Dimension sind wir Zeugen eines erneuten Angriffs auf alles Gemeinschaftliche; Landraub und die Privatisierung der Commons wie Meer, Land und Atmosphäre (durch CO2-Märkte) machen das deutlich. Hier wird zynisch die gnadenlose Welt der einen 10 Prozent den anderen 90 Prozent und der natürlichen Welt mit steigernder Wucht aufgezwungen. Das Wegrücken und Abtrennen jener Welten, die wir unausweichlich mit anderen Erdwesen knüpfen, sind von der Eine-Welt-Welt verursacht. Sie selbst sind der Ausgangspunkt der ökologischen und sozialen Krise (Rose 2008). Es geht hier um Aspekte dessen, was Nonini (2007) erkenntnisreich als »Vernutzung der Commons« beschrieb.

Dass im Laufe des vergangenen Jahrzehnts intensive Debatten zu den kulturellen und ökologischen Übergängen entstanden, die für den Umgang mit den miteinander verknüpften Klima-, Nahrungsmittel-, Energie- und Armutskrisen notwendig sind, belegt eindrucksvoll, dass das vorherrschende Geschäfts- und Gesellschaftmodell ausgereizt ist. Überall entstehen neue Narrative und Aktivitäten für alternative Modelle, die die strategischen Lösungen der »Einen Welt« – beispielsweise die sogenannte »nachhaltige Entwicklung« oder die »grüne Ökonomie« – hinter sich lassen. Die Autorinnen und Autoren dieser Übergangsdiskurse kommen nicht nur aus der akademischen Welt. Es gibt vielseitige Ansätze wie »Degrowth«, eine Reihe von »Transition«-Initiativen, die Debatte um das Anthropozän, Trendprognosen (z.B. Club of Rome, Randers 2014), sowie die Commons-Bewegung (Bollier 2014) oder die Care Economy, die eine andere Art des Sehens und des Seins thematisiert. Auch Ansätze im Kontext des interreligiösen Dialogs oder von UNO-Prozessen gehören dazu. Expliziter sind Initiativen und Diskurse wie die Transition Town Initiative (TTI, Großbritannien), die Great Transition Initiative (GTI, Tellus Institute, USA), The Great Turning (Macy und Johnstone 2014), »das Große Werk«, das den Übergang zu einer »ökozoischen Epoche« meint (Berry 2011) sowie der Übergang vom Zeitalter der Aufklärung zu dem der Lebenserhaltung (Fry 2012). Im globalen Süden drehen sich Transition-Debatten unter anderem um die Krise des zivilisatorischen Modells, um Postdevelopment beziehungsweise Alternativen zur Entwicklung, Buen Vivir, gemeinschaftliche Logiken und Autonomie, Subsistenz und Nahrungsmittelsouveränität sowie Übergänge zum Postextraktivismus. Während die Charakteristika der neuen Ära im Norden unter anderem mit Postwachstum, Postmaterialismus, Postökonomie, Postkapitalismus und Postdualismus beschrieben werden, geschieht das im Süden eher mit Begriffen wie Postdevelopment, Post-/Nicht-Liberalismus, Post-/Nicht-Kapitalismus und Postextraktivismus (Escobar 2011).

Commoning und Commons als Brücken

Die Übergangsdiskurse des globalen Nordens und globalen Südens sollten, erstens, zusammengeführt werden, denn es gibt sowohl Ergänzungen als auch Spannungen zwischen den genannten Visionen und Strategien – beispielsweise zwischen Degrowth und Postdevelopment. Commons könnte der ergiebigste Oberbegriff sein, um die Debatten zusammenzubringen und Dichotomien aufzulösen. Wie Bollier (2014) zeigt, ziehen Commons eine andere Art des Sehens und des Seins nach sich, ein anderes Modell des sozio-natürlichen Lebens. So gesehen treffen sie ein wirkmächtiges, geteiltes Interesse über verschiedene Welten hinweg, die Verknüpfungen dazwischen sind zunehmend sichtbar und beschreibbar (siehe z.B. Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung 2012). Auch wenn die Commons-Debatten zeigen, dass die Völker und Welten »ein gemeinsames Interesse« haben, so sind es nicht immer dieselben Interessen bei allen Beteiligten, denn Visionen und Praktiken der Commons sind je-weltspezifisch (de la Cadena 2015). Zweitens, das Nachdenken über Commons und Commoning macht commons-zerstörende dualistische Konzeptionen sichtbar, insbesondere jene wie Natur und Kultur, Menschen und Nicht-Menschen, Individuum und Gemeinschaft, Geist und Körper. Über Commons nachzudenken erinnert auch diejenigen, die in den dichtesten urbanen und liberalen Welten leben, dass wir in einer lebendigen Welt zu Hause sind. Es situiert die Menschen wieder im unaufhörlichen Fluss des Lebens, der unweigerlich alles mitzieht; so wird uns ermöglicht, uns selbst wieder als Teil des Lebensstroms zu betrachten. Commons haben heute dieses enorme Potenzial, das Leben aufzuwerten.

Drittens teilen Commons-Debatten mit der politischen Ontologie das Ziel, eine Weltsicht und Praxis zu dekonstruieren, die sich auf die entbettete Wirtschaft und die ihr eng verwandte Vorstellung vom »autonomen Individuum« gründen. Keine Kulturleistung des Westens ist für die relationalen Welten schädlicher gewesen. Beide Eckpfeiler des westlichen Liberalismus und der Moderne müssen immer wieder hinterfragt werden, insbesondere indem ihre Rolle bei der Zerstörung commons-schaffender Praktiken aufgedeckt wird. Auf eine »Commons Creating Economy«, ein »commons-schaffendes Wirtschaften« (Helfrich 2013), hinzuarbeiten bedeutet auch, auf die Re- bzw. Konstituierung relationaler Welten hinzuarbeiten, in denen die Wirtschaftsweise wieder in die Gesellschaft und die Natur eingebettet ist; es bedeutet, dass das Individuum in einer Gemeinschaft integriert ist, das Menschliche im Nicht-Menschlichen und Wissen im eng verflochtenen Dreieck aus Wissen, Sein und Tun.

Viertens gibt es viele Fragen, die zu untersuchen aus doppelter Perspektive, nämlich von Commons und politischer Ontologie, ergiebig wäre. Dazu gehören die bereits erwähnten Alternativen zur Entwicklung, Übergänge zu postextraktiven Modellen, Bewegungen für die Re-Lokalisierung von Nahrungsmittelproduktion, Energie, Transport, Bauwesen und weitere sozio-kulturelle sowie produktive Bereich sowie die Neuimaginierung und Gestaltung der Wirtschaft mit Vorschlägen wie die vielfältige Wirtschaftsweise (Gibson-Graham et al. 2013), Subsistenz- und Gemeinschaftsökonomien und soziale und solidarische Ökonomien (Coraggio und Laville 2014).

Zahlreiche ontologische und politische Fragen zu diesen Themen betreffen sowohl Commons als auch die politische Ontologie, angefangen bei dem Problem, wie hegemoniale Denkweisen effektiver hinterfragt werden können, bis zu der Frage, wie tatsächlich innovative Arten des Wissens, Seins und Tuns in Bezug auf »Wirtschaft«, »Entwicklung«, »Ressourcen« oder »Nachhaltigkeit« tatsächlich vorstellbar werden. Auf diesem Weg wird ein neues Vokabular entstehen – de facto entsteht es bereits – hin zu einem Pluriversum innerhalb dessen Commoning und relationale Seinsweisen günstige Bedingungen für ihr Gedeihen finden könnten.

Die vielfältigen ontologischen Auseinandersetzungen zur Verteidigung von Commons, Territorien und dem Strom des Lebens lösen ein veritables politisches Erwachen aus – mit besonderem Akzent auf dem Verbunden-Sein, der Relationalität. Jeder Schritt hin zu mehr Commons jenseits von »Entwicklung« und »der Wirtschaft« ist hier elementar. Aber letztlich wird unsere Fähigkeit zum Commoning davon abhängen, ob wir uns der unendlichen Beziehungsvielfalt wieder öffnen und Bewegungen schaffen, die das Pluriversum des Lebens ehren.

Literatur

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Arturo Escobar, Kolumbien, ist Professor für Anthropologie an der Universität von North Carolina, Chapel Hill, und Forschungsmitglied der Gruppe Nation/Kultur/Gedächtnis der Universität del Valle, Cali, Kolumbien.

1 | Darunter verstehe ich jene Völker und Sozialgruppen, die ihre historische Bindung zu Orten und Landschaften erhalten haben. Der Bindestrich betont, dass für sie (meist ethnische Minderheiten und Bauern, auch in den Städten gibt es sie) eine intensive Verbindung zwischen dem Menschlichen und dem Nicht-Menschlichen, zwischen den natürlichen, menschlichen und spirituellen Welten besteht.

2 | Statement einer afro-kolumbianischen Aktivistin beim Forum »Other Economies are Possible«, Buga, Kolumbien, 17.-21. Juli 2013.

3 | Der Yurumangui ist einer von fünf Flüssen, die in der Buenaventura-Bucht in den Pazifik münden. Etwa 6.000 Menschen, hauptsächlich afrikanischer Abstammung, leben an seinen Ufern. Dank aktiver Mobilisierung vor Ort gelang es den Gemeinschaften 1999, das kollektive Eigentumsrecht an circa 52.000 Hektar beziehungsweise 82 Prozent des Flussgebietes zu sichern. Die Menschen vor Ort sind jedoch nicht in der Lage, das Territorium wirksam zu kontrollieren, und zwar aufgrund von bewaffneten Konflikten, dem Hereindrängen illegalen Pflanzenanbaus sowie Mega-Infrastrukturprojekten. Nichtsdestoweniger bedeutete das kollektive Eigentumsrecht einen großen Schritt in der Verteidigung ihrer Commons, die Basis für autonome Territorien und die Sicherung ihrer Existenzgrundlagen.

4 | Im englischen Original: »worlding« (Anm. der Übers.).

5 | Die Aussage stammt von Francia Marquez, Mitglied des Gemeinderates La Toma, aus dem Dokumentarfilm La Toma von Paula Mendoza, Zugriff am 23. März 2014, www.youtube.com/watch?v=BrgVcdnwU0M. Der größte Teil dieses Abschnitts über La Toma beruht auf Gesprächen, die ich 2009, 2012 und 2014 mit Führungspersönlichkeiten aus La Toma geführt habe, sowie aus Informationen über die Kampagnen, die sich gegen den illegalen Bergbau in diesem anzestralen Territorium gerichtet haben.

6 | Aus dem oben zitierten Dokumentarfilm von Mendoza.

7 | Das Konzept könnte man übersetzen als »gutes Leben oder kollektives Wohlergehen in kulturell angemessener Art und Weise«.