Die Welt der Commons

Muster des gemeinsamen Handelns

Ein Fab Lab für St. Pauli

Astrid Lorenzen

Das 2011 von einer interdisziplinären, technikaffinen Gruppe gegründete Fabulous St. Pauli liegt mitten in einem der lebhaftesten Stadtteile Hamburgs. Es ist eines von circa 30 Fab Labs im deutschsprachigen Raum.1 Als offene Werkstatt bietet es jedem Interessierten Zugang zu gängigen Holz- und Metallverarbeitungswerkzeugen wie Fräse, Stanze, Bohrmaschine sowie zu computergesteuerten Geräten wie 3D-Druckern oder einem Lasercutter. Wer mag, kann hier Alltagsgegenstände wie kleine Spielzeuge oder Schmuck, Prototypen oder Ersatzteile herstellen, unabhängig von öffentlichen Dienstleistern oder privaten Anbietern, denn das Fab Lab ist als eingetragener Verein organisiert und finanziert sich fast ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge.

Es arbeitet nicht gewinnorientiert, ganz im Sinne der internationalen Fab Lab Charter, die 2007 vom FabLab-Begründer Neil Gershenfeld formuliert wurde. Ein weiterer wichtiger Punkt der Charta ist der offene Zugang zu den Geräten und Werkzeugen. Er ist in St. Pauli immer donnerstags am Open Lab Day möglich.

Auszug aus der Internationalen Fab Lab Charter von 2007 mit einer Ergänzung von 2013:

Zugang: Du kannst das Fab Lab nutzen, um fast alles zu machen (außer Dinge, die andere verletzen); du musst lernen, Dinge selbst zu machen, und du musst dir den Gebrauch des Fab Labs mit anderen Nutzern und Nutzungsarten teilen.

Bildung: Das Training im Fab Lab basiert darauf, Projekte durchzuführen und von Mentoren zu lernen; wir erwarten, dass du dich an der Dokumentation und dem Anleiten von anderen beteiligst.

Verantwortung: Du bist verantwortlich für: die Sicherheit […] das Aufräumen […] den Betrieb (also beim Warten und Reparieren mitzuhelfen und Bescheid zu sagen, wenn es Probleme mit Maschinen gibt, Materialvorräte zur Neige gehen oder Unfälle passieren), eine friedliche Nutzung (also darauf zu achten, dass im Lab keine Waffen oder Waffenteile angefertigt und vom Lab aus keine Konstruktionsdateien für Waffen oder Waffenteile verbreitet werden).

Geheimhaltung: Konstruktionen und Verfahren, die im Fab Lab entwickelt wurden, müssen für den persönlichen Gebrauch durch andere zugänglich bleiben. Abgesehen davon können geistige Eigentumsrechte an Konstruktionen und Verfahren geschützt werden.

Übersetzung und Ergänzung: nbo

Zu den Besuchern und Nutzern des Labs zählen Schülerinnen und Schüler sowie Studentinnen und Studenten, die ein Modell für ihre Projektarbeit realisieren möchten, sowie Fachleute aus dem Maschinenbau und der Naturwissenschaft, die sich über die Techniken informieren wollen, oder Tüftler, die Neues kreieren oder Altes reparieren. Das Lab bietet zudem den Jugendlichen des Viertels die Chance, einen Einblick in technische Berufe zu erlangen. In der Nachbarschaft gibt es zudem viele kreative Köpfe, die das Fab Lab zum Prototypen- oder Modellbau nutzen. Sie experimentieren mit Druckermaterialien, drucken Probeexemplare aus und entwickeln zum Beispiel einen Roboterfinger.

Für alle gelten die vom Verein entwickelten Nutzungsbedingungen: Wer etwas in die Hand nimmt, trägt die Verantwortung. Im Allgemeinen funktioniert das gut. Bezahlt wird nur der Materialeinsatz. Die Betreuungszeit selbst steht unentgeltlich zur Verfügung, mit Ausnahme der Nutzung einiger Maschinen. Im Lab erlangtes, neues Wissen sollte wieder in die Community fließen, und für die dauerhafte gewerbliche Nutzung der Räume und Maschinen ist im Lab kein Platz.

Fabulous St. Pauli sieht sich als Vernetzungspunkt, als Ort, an dem Menschen und Stadtteil-Initiativen, die sich in gesellschaftlich relevanten Bereichen wie Energie (KEBAP Energiebunker2), Müll, Verkehr oder Urban Gardening bewegen, die Technik, die sie brauchen, gemeinsam nutzen können, um individuelle und lokal angepasste Lösungen für sehr unterschiedliche Probleme zu entwickeln. Aus der Zusammenarbeit mit dem Urban-Gardening-Projekt »Gartendeck« ist beispielsweise ein Lastenfahrrad entstanden.

Fabulous St. Pauli setzt sich dabei ganz bewusst mit der Rolle der Produktion in der Stadt von heute auseinander und beteiligt sich damit auch an der Diskussion über eine neue Stadtentwicklung im Hamburger Netzwerk »Recht auf Stadt«. Doch die Zusammenarbeit bleibt nicht auf Hamburg oder Deutschland beschränkt: Durch die weltweite Vernetzung der Fab Labs gibt es auch einen regelmäßigen Austausch von Ideen und Software und zudem Besuch von Labs aus aller Welt.

Das Fab Lab lebt vom Austausch und von der Bereitschaft der Mitglieder, die neben ihrem monatlichen Beitrag ihre Zeit und ihr Wissen zur Bedienung und Reparatur der Maschinen teilen. Gerade das Reparieren ist wichtig, da wir unter anderem mit gespendeten Industriegeräten arbeiten, die regelmäßig gewartet werden müssen. Die meisten Maschinen werden jedoch von den Mitgliedern selbst bereitgestellt. Die Motive jedes Einzelnen sind dabei unterschiedlich. Bei dem einen steht das Fachsimpeln und Ausprobieren im Vordergrund, bei anderen die Umsetzung eigener Projekte. Wieder anderen geht es um den Gedanken, möglichst vielen Menschen Zugang zu den neuen Produktionsverfahren zu bieten.

Ohne die Möglichkeit, in einem selbstverwalteten Zentrum günstig einen Raum zu mieten, wäre es momentan schwer, das Lab zu betreiben. Kommunalpolitik hat daher einen erheblichen Anteil am Gelingen selbstorganisierter Experimentier- und Freiräume. Mit den Ressourcen und dem Wissen der aktiven Mitglieder aus Informatik, Elektrotechnik, Design, Journalismus sowie zahlreichen weiteren Wissenschaftsbereichen und mit einem bezahlbaren, zentral gelegenen Ort hat ein Fab Lab, wie das in St. Pauli, das Potential, die Produktion in die eigenen Hände zu nehmen. Im Fabulous können, unabhängig vom Marktgeschehen, individuelle, innovative Produkte und alternative Konzepte ausprobiert und umgesetzt werden. Wird dies durch öffentliche Förderung unterstützt, kann sich dieses Potential richtig entfalten, was am Beispiel des im Herbst 2014 stattgefundenen Handyselbstbauprojektes »Fabrica« sichtbar wurde.

Vom 13.08. bis 07.09.2014 veranstaltete das Fab Lab das Projekt Fabrica – Technik meets Kunst meets DIY-Kultur:

3D-Drucken und Lasercutten machen Spaß. Aber es geht um mehr als lustige Gimmicks im Maker-Hype. Fabulous St. Pauli will auch komplexere Geräte, die jeder nutzt, selbst bauen zu können. Mobiltelefone zum Beispiel, das Konsumprodukt schlechthin: kurzlebig, statusbeladen, unter fragwürdigen Umständen produziert und dazu in Blackboxes verschlossen, bei denen sich Verbraucherinnen und Verbraucher auf das verlassen müssen, was die Hersteller hineingepackt haben. Mit Blick auf den Hamburger Hafen wurde deshalb eine temporäre, dezentrale Hightech-Fabrik für Mobiltelefone errichtet, die es den Teilnehmenden ermöglichen sollte, fünf Prozent des Handy-Bedarfs von St. Pauli selbst zu produzieren. Nach der Vorlage eines Open-Source-Telefons, des arduino-basierten3 DIY-Phones von David Mellis (MIT)4, wurden die Platinen bestückt und verlötet. Für die individuell gestaltbare Gehäuseproduktion standen ein Highend-Lasercutter und verschiedene 3D-Drucker zur Verfügung.

Im Lab wollten wir unter anderem herausfinden, wie Interessierte sich eine künftige dezentrale Produktion ihrer Hightech-Produkte wünschen und wie auch Nicht-Experten sich beteiligen können, einfache Mobiltelefone mit fair produzierten Bauteilen auf professionellem Niveau selber zu produzieren. Das Stichwort lautet: Fair IT. Viele sind daran interessiert, die Produkte, die sie täglich mit sich herumtragen, zu verstehen und sie sogar selbst zu gestalten und zusammenzubauen.

Astrid Lorenzen ist seit ihrem Diplom-Abschluss an der Muthesius Hochschule in Kiel selbständige Industriedesignerin für nachhaltige Produktgestaltung. Im Fab Lab St. Pauli ist sie seit 2012 aktiv. Zudem engagiert sie sich im Sustainable Design Center und im Arbeitskreis Fair IT.

1 | Diese Angaben beziehen sich auf Anfang 2015. Das erste deutsche Fab Lab wurde 2009 in Aachen gegründet, weitere befinden sich im Aufbau (Anm. der Hg.).

2 | Der Hamburg-Altonaer Verein KEBAP steht für Kultur- und Energiekonzepte in der Stadt mit dem Anspruch auf Basisversorgung in Sachen Kultur & Energie, die lokale Ökonomie und Ökologie miteinander verbindet. Der Name Bunker beruht auf der Idee der Übernahme eines Hochbunkers, um darin Räume für Kultur sowie eine Erzeugungsanlage für (Fern-)Wärme und Strom für den Stadtteil zu installieren.

3 | Siehe dazu den folgenden Beitrag zu Arduino.

4 | Die Bauanleitung findet sich hier: www.fablab-hamburg.org/diy-phone/ (Zugriff am 29. Januar 2015).