Die Welt der Commons

Muster des gemeinsamen Handelns

Die Geschichte von LibreOffice

Oder: Wie proprietäre Software zu einem Commons wurde

Mike Linksvayer

Seit den frühen 1990er Jahren hält Microsoft ein lukratives Quasi-Monopol auf das Office-Software-Paket, das heißt auf Anwendungen wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulationen, Präsentationen und Datenbanken. Allein 2013 machte die Firma damit einen Gewinn von 16 Milliarden US-Dollar bei einem Verkaufserlös von 24 Milliarden USD. Das ist ein bemerkenswerter Vermögenstransfer von unten nach oben, von Software-Anwendern zu Microsoft. Möglich wird er durch das Copyright, Microsofts Geheimhaltungspolitik sowie den machtvollen Netzwerkeffekt, der sich aus der weiten Verbreitung von Microsoft-Programmen ergibt.

Microsoft nutzte jeden nur erdenklichen Trick, um dafür zu sorgen, dass die Nutzerinnen und Nutzer dieser Büro-Software von ihr abhängig bleiben. So wurden beispielsweise die technischen Einzelheiten der Programme bewusst mangelhaft dokumentiert. Daher konnten andere Programme nicht fehlerfrei mit Microsoft Office interagieren. Da das für viele Unternehmen und Anwender inakzeptabel ist, gelang es Microsoft im Endeffekt, seine Marktdominanz und die hohen Gewinne durch die Inkompatibilität mit anderen Systemen zu verteidigen.

Die Ironie der Geschichte ist, dass Software-Entwickler technisch längst in der Lage waren, das Internet zu nutzen, um online Bürosoftware kooperativ zu programmieren. Das wurde von einer breiten Öffentlichkeit jedoch erst wahrgenommen, als sich in den 1990er-Jahren Entwickler zusammenschlossen, um jenseits großer, proprietärer Software-Firmen gemeinsam das Betriebssystem GNU/Linux sowie die Webserver-Software Apache zu entwickeln. Der Erfolg dieser und anderer Open-Source-Projekte setzte viele Vertriebsorganisationen proprietärer Software unter Druck, weil Konsumenten und Entwickler nunmehr die Alternativen sahen. Sogar Konzerne wie IBM und Intel sahen inzwischen einen Geschäftsvorteil darin, sich an der Entwicklung von Open-Source-Software zu beteiligen. Der Code wäre zwar für alle frei zugänglich, aber mit technischer Unterstützung und Serviceleistungen oder dadurch, dass die Programme den Bedürfnisse der Kunden angepasst würden, konnte man immer noch Geld verdienen.

Die Freiheit(en) der Software-Anwender zu garantieren, erwies sich jedoch als schwieriger als gedacht. Regelmäßig sagten Programmierer voraus, das kommende Jahr werde das »Jahr des Linux-Rechners«, das Jahr, in dem Open-Source-Anwendungen weite Verbreitung fänden. Doch nie wurde etwas daraus. Ein Lichtblick war OpenOffice.org, ein ursprünglich von einem Unternehmen kontrolliertes Textverarbeitungsprogramm, das von engagierten Software-Entwicklern gänzlich unerwartet zu einem echten Software-Commons gemacht wurde.

Die Geschichte begann, als Sun Microsystems, einst Pionier offener Systeme, den Wettbewerbsdruck von GNU/Linux zu spüren bekam. Mit keinem geringeren Ziel, als Microsoft vom ersten Platz zu verdrängen, kaufte Sun im Jahr 2000 die deutsche Firma MillenniumX Software und gab eine Open-Source-Version von StarOffice unter dem Namen »OpenOffice.org« (OOo) heraus.

Da OOo von einem Unternehmen kontrolliert war, war es nicht wirklich ein Commons. Aber immerhin eine vollständige Büro-Software mit allen wesentlichen Anwendungen, die – wenn auch mit einigen Ecken und Kanten – grundsätzlich dialogfähig war mit den Programmen von Microsoft und damit mit dem Rest der Welt. Das motivierte viele Nutzer unfreier Microsoft- und Apple-Systeme, OOo zu installieren, dabei noch Geld zu sparen und mehr über Open Source zu erfahren.1

Es war jedoch von Anfang an unklar, wie Sun mit betriebsfremden Entwicklern (zusammen)arbeiten würde. Ebenso unklar war, ob OOo das Quasi-Monopol von Microsoft würde brechen können. Trotz seiner relativ progressiven Unternehmensethik behielt sich Sun die absolute Kontrolle über das OOo-Projekt vor, weil es ein Software-Gesamtpaket entwickeln wollte. Das wiederum hielt externe Entwickler davon ab, sich an der Weiterentwicklung von OOo zu beteiligen. Sie begannen stattdessen 2002, ihre eigenen OOo-Versionen voranzutreiben, die sie anstelle der Versionen von Sun-Software in häufig verwendete Linux-Distributionen einbauten. Es war, als könnte man die Commoners durch nichts davon abhalten, Software-Commons zu produzieren.

Eine weitere treibende Kraft in diesem Prozess war das Open-Document-Format (ODF). Das war im Grunde ein groß angelegter Standardisierungsversuch, eine Reihe von offenen und vollumfänglich dokumentierten Dateiformaten für Büro-Anwendungsprogramme zu schaffen, um sicherzustellen, dass Anwendungen von verschiedenen Anbietern und Communities reibungslos miteinander funktionierten. Das sollte eine wesentliche Ursache der Abhängigkeit von einzelnen Anbietern eliminieren. OOo gehörte zu den ersten Anwendungen, die seit 2005 das Open-Document-Format unterstützten.

Microsoft versuchte auch diesen Standardisierungsprozess mit dem konkurrierenden Format OOXML mit aller Kraft zu unterlaufen. Die Firma versah die hausinterne Software mit proprietären Erweiterungen zu OOXML und konnte so die Kontrolle über die Dokumentformate zurückgewinnen und die Nutzer davon abhalten, zur Konkurrenz zu wechseln.

Während also Microsoft der Hinwendung zur Software-Allmende einen Knüppel zwischen die Beine werfen konnte (was an den aktuellen Gewinnen ablesbar ist), hat ODF sowohl technische als auch strategische Fortschritte gemacht und seine Durchsetzungschancen verbessert: etwa durch die gute Interoperabilität zwischen verschiedenen Programmen oder dadurch, dass mehrere öffentliche Institutionen nur noch den Erwerb von ODF-kompatibler Software zuließen.

Trotz Microsofts Weigerung, offene Formate zuzulassen konnte OOo also zur wichtigsten Alternative zu Microsoft werden, teilweise auch wegen der Reibungsverluste zwischen proprietären Anbietern. Das Unternehmen Sun aber, das die OOo-Entwicklung weiterhin streng kontrollierte, war Ende der 2000er-Jahre in Schwierigkeiten. Sein Kerngeschäft mit Serverhardware war durch die Konkurrenz von Linux stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Aussichten wurden für OOo noch trüber, als der Software-Riese Oracle schließlich Sun wegen seiner Server und Java-Technologie aufkaufte. Das Schicksal schien besiegelt: OOo würde sich als nicht profitabel erweisen und von Oracle aufgegeben werden.

Das bestärkte die OOo-Community darin, die entscheidenden Schritte zu gehen, um OOo von einem auslaufenden Nebenprodukt eines Unternehmens zu einem lebensfähigen Software-Commons zu machen. Sie »forkten« das Projekt – begannen also einen eigenständigen, neuen Entwicklungsprozess – und riefen LibreOffice ins Leben. Nahezu alle Entwickler außerhalb von Oracle und Sun schlossen sich dem neuen Projektzweig an und fast alle Linux-Distributionen beabsichtigten, künftig LibreOffice (statt OOo) an ihre Nutzer weiterzugeben. Mit der Gründung der Document Foundation, einer nicht gewinnorientierten Organisation aus Deutschland, sicherte sich die Gemeinschaft langfristig die Kontrolle über das Projekt.

Alles ging sehr schnell. Doch das war nur möglich, weil fast ein Jahrzehnt an Gemeinschaftsprozessen und Commoning rund um OOo-Entwicklungen außerhalb von Sun und das stetige Engagement für ODF den Boden dafür bereitet hatten.

Wie zu erwarten, beendete Oracle daraufhin die Entwicklung von OOo. Aber anstatt mit dem neuen LibreOffice zusammenzuarbeiten, übergab die Firma den OOo-Code der Apache Software Foundation, einem Treuhänder von Open-Source-Projekten. Das jedoch führte zu unnötigen Reibereien zwischen den Unterstützern von LibreOffice und einer weiteren Abspaltung, Apache OpenOffice. Doch da – wenn zwei Open-Source-Projekte weitgehend am gleichen Code arbeiten – die Motivation groß ist zu kooperieren, verwendet LibreOffice schlicht auch Code von Apache OpenOffice.

LibreOffice hat eindeutig Herz und Hirn der freien und Open Source Community gewonnen, indem es allen sehr leicht gemacht wurde beizutragen, aber unmöglich, dass eine Gruppe die Kontrolle über die Projektorganisation an sich reißt. Infolge dessen haben sich seit der Abspaltung sowohl die Funktionen von LibreOffice, als auch die Benutzeroberfläche und die Kompatibilität mit Microsofts quasi-proprietären Formaten stark verbessert. Das hat LibreOffice gegenüber Microsoft in eine stärkere Position gebracht, als seine Vorgänger sie je hatten. Der Bekanntheitsgrad nahm noch zu, seit das Programm auch in großen Institutionen, wie der Münchner Stadtverwaltung, angewendet wird. Die komplette österreichische Justiz hat circa 12.000 Computer vollständig auf Open Source umgestellt, mit allen notwendigen Erweiterungen und Anpassungen.

Während diese Entwicklungen den Angriff von LibreOffice auf Microsofts Quasi-Monopol beschleunigt haben, führte die Verlagerung der Datenverarbeitung vom Personalcomputer in die Cloud2 sowie auf mobile Endgeräte zum gegenteiligen Ergebnis. Google Docs etwa wurde zu einem wichtigen Instrument für viele Organisationen, weil es online Programme anbietet, mit denen man in Echtzeit gemeinsam an Dokumenten arbeiten kann. Sie laufen auf Google Servern und können vom eigenen Webbrowser aus genutzt werden. Google Docs erwirtschaftet zwar keinen derart hohen Gewinn wie Microsoft mit seinem Quasi-Monopol auf Büro-Software, aber dieses Vorgehen führt zu einem noch unmittelbareren Kontrollverlust der Anwender als bisher: Google kann die Software jederzeit ändern und hat Zugriff auf alle Dokumente die online editiert und gespeichert werden. Microsoft hat eine eigene Online-Version von Office entwickelt, mit denselben Eigenschaften wie Google Docs – das treibt Commoners einmal mehr in eine Aufholjagd. LibreOffice Online gab es als Prototyp bereits seit 2011, doch erst in jüngster Zeit nimmt sich ein Entwicklerteam wirklich des Projektes an. Ab 2016 könnte LibreOffice Online eine robuste und verlässliche Alternative zu den konzernkontrollierten Dienstleistungen für Online-Zusammenarbeit sein.

Das Muster wiederholt sich: Unternehmen erweisen sich immer wieder als schlechte Sachwalter von Open-Source-Projekten, und daraufhin rebelliert die Community. Das war beim Datenbank-Programm MySQL nicht anders. Die commons-basierte Abspaltung nach der Oracle-Zeit firmiert unter MariaDB. Doch LibreOffice und ODF-Standards deuten das große Potenzial offener Verwaltungs- und Entwicklungsprozesse an, und sie verweisen darauf, dass sich auch die Politik für commons-basierte Software einsetzen und dafür den geeigneten gesetzlichen Rahmen schaffen kann. Tatsächlich ändert sich etwas. Um Kompetenz vor Ort zu stärken oder aus Gründen nationaler Sicherheit fordern Regierungen die Überprüfung von Open-Source-Optionen in der Software-Beschaffung (Italien), sie verbannen Windows 8 von den Computern der öffentlichen Verwaltung (China) und unterstützen offene Formate (Großbritannien).

Mike Linksvayer ist Vorstandsmitglied der Software Freedom Conservancy, einer Non-Profit-Organisation, die sich für Freie Software einsetzt, sowie von OpenHatch und AcaWiki. Er ist Mitglied des Open Definition Advisory Council sowie des Steuerungskomitees von Snowdrift.coop. Zwischen 2003 und 2012 war er Technischer Leiter und Vizepräsident von Creative Commons.

1 | Der technische »Stammbaum« – die technischen Entwicklungsschritte – von OOo ist hier zu finden: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:StarOffice_major_derivatives.svg?uselang=de (Zugriff am 15. Februar 2015).

2 | Bezieht sich auf »Cloud Computing« und meint das Nutzen und Speichern von Daten in einem entfernten Rechenzentrum (Anm. der Hg.).