Die Welt der Commons

Muster des gemeinsamen Handelns

Ein ethischer Kampf ums Menschsein

Über die Bewegung der Barackenbewohnerschaft in Südafrika

Nigel C. Gibson

Am 19. März 20051 blockierten 750 schwarze Barackenbewohner, Frauen und Männer, eine wichtige Umgehungsstraße in der Nähe des Umgeni Business Parks im südafrikanischen Durban. Vier Stunden lang kämpften sie gegen die Polizei. Die Szenerie erinnerte an den Anti-Apartheid-Kampf. Geduldig hatten die Barackenbewohner auf die Umsetzung von Nelson Mandelas historischem Wahlversprechen aus dem Jahr 1994 gewartet. Sie hatten auf Wohnraum gehofft und geglaubt, auf einem nahe gelegenen Grundstück würden Häuser gebaut, doch das Versprechen wurde wegen der Immobilien- und Gewerbeentwicklung gebrochen. Statt neuen Häusern standen sie nun Bulldozern gegenüber. Ihnen drohte die Umsiedlung an einen Ort mehrere Meilen außerhalb der Stadt, weit entfernt von Arbeitsplätzen, Schulen, Krankenhäusern und von den Nachbarschaften, zu denen sie gehörten. Auf eine der Apartheid-Praxis nicht unähnliche Art – nämlich Menschen als »überschüssige Bevölkerung« zu behandeln – hatte die auf den Markt fixierte Politik die politische Realität in Südafrika nach der Apartheid auf unschöne Weise hervortreten lassen.

Die Kennedy-Road-Siedlung liegt eingekeilt zwischen der Wohnsiedlung Clare Estate und Afrikas größter Mülldeponie an der Bisasar Road. Ständig fahren Lastwagen auf das Deponiegelände. Dabei passieren sie Electron Avenue und weitere Straßen, deren Namen einer verflossenen Ära technologischer Innovation und »Entwicklung« unter dem Apartheid-Regime entstammen. Entlang der Kennedy Road ist die Müllhalde von einer langen Betonmauer umgeben. Eine Art Parfümierung soll den Geruch überdecken. Menschen gehen die Halde auf und ab, um Brauchbares aus dem Müll zu klauben, oder sie gehen dort entlang, weil sie auf dem Hin- oder Rückweg zur Arbeit als Hausangestellte oder Gärtner in den Wohnhäusern des Clare Estate sind. Offiziell ist den Barackenbewohnern der Zutritt zu dieser gesundheitsschädigenden und giftigen Deponie verboten. Wer jedoch neben den Barackensiedlungen an der Mauer entlang geht, wird sehen, dass hin und wieder Betonplatten entfernt wurden. Viele Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt, indem sie die Abfälle durchkämmen und Pappe, Plastik oder Metall sammeln, die sie dann in der »informellen Ökonomie« zum Recyceln verkaufen.

Der größte Teil der »informellen Siedlung« an der Kennedy Road liegt nicht direkt an der Straße, sondern ist über die zahlreichen Pfade zu erreichen, die die Hügel überziehen.2 Die Menschen dort leben in bitterer Armut. Vom Staat vergessen, haben sie weder Strom noch Wasserver- und -entsorgung. Sie leben in Baracken, die in die Hügel gegraben wurden und aus Plakatwänden, Wellblech, Zweigen und Lehm zusammengeschustert sind. Aus ihren »behelfsmäßigen« Unterkünften wurden mehr oder weniger dauerhafte. Lange Zeit wurde noch nicht einmal der Müll abgefahren.

Kennedy Road selbst gehört zum Viertel Clare Estate, in dem hauptsächlich Inderinnen und Inder der gehobenen Mittelschicht wohnen. Die Grundstückspreise im Viertel schießen in die Höhe. In den Siedlungszwischenräumen – in den Tälern, entlang der Flussufer und der städtischen Deponie – gibt es acht Barackensiedlungen. Jede hat ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Organisationen hervorgebracht. Eine davon ist die Kennedy-Road-Siedlung, in der sich eine radikaldemokratische politische Kultur über Jahre hinweg entwickelt hat. In anderen Barackensiedlungen herrscht Vetternwirtschaft, dominiert von einem »induna« (Häuptling), von denen manchen mehr Respekt gezollt wird als anderen, aber oft orientiert sich die Führungskultur an Hierarchien und Protektion.3 Da materielle Interessen im Spiel sind, geht die Einführung eines demokratischen Systems in der Regel mit Anfechtungen und harten Auseinandersetzungen einher. Die Gestalt einer jeden Siedlung hat sich aus unterschiedlichen materiellen Bedingungen ergeben, wobei räumliche Strukturen, Größe und Geografie die Machbarkeitsgrenzen etwa von gemeinsamen Versammlungsorten bestimmen. Diesen Einschränkungen zum Trotz, sieht man schon beim Blick von den Bergkuppen herab, dass dieser Teil Durbans etwas Besonderes hat. Die Projektentwickler verstehen das, und auch den Barackenbewohnern ist es nicht entgangen. Ein Mitglied des KwaZulu-Natal-Kabinetts soll Berichten zufolge gesagt haben: »Wir können neben drei Millionen Rand teuren Häusern keine Streichholzschachteln bauen« (Khan 2006a), während ein Mitglied der Gemeinschaft der Barackenbewohner schlicht feststellt: »Sie wollen es für die Reichen haben« (Alfred Ndlovu, zitiert in Pithouse 2005b).

Trotz gegenteiliger Versprechen des örtlichen Stadtrats rückten am 19. März 2005 die Bulldozer an. Als sie zusehen mussten, wie ihr »Gelobtes Land« dem Erdboden gleichgemacht wurde, wurden die Barackenbewohner/innen aktiv: Sie blockierten die Umgeni Road mit brennenden Reifen und Matratzen und brachten den Verkehr und die Geschäftstätigkeit zum Erliegen. Die Polizei war überrascht und ersuchte um Hilfe. Sie attackierte mit Hunden, schlug auf die Protestierenden ein und nahm 14 der 750 Menschen der Kennedy-Road-Siedlung fest, darunter zwei Jugendliche, Thobekile Zulu and Akhona Khebesi. Zwei Tage später, am Tag der Menschenrechte in Südafrika – dem Jahrestag des 21. März 1960, als die Apartheid-Polizei in Sharpeville auf Protestierende gegen die Passgesetze schoss und dabei 69 Menschen tötete – demonstrierten 1.200 Menschen. Sie forderten, dass die örtliche Polizei entweder die 14 Verhafteten freilassen oder aber die gesamte Gemeinschaft festnehmen solle. Die Menschen hatten selbstbewusst begonnen, sich für ihre eigenen Rechte stark zu machen; endlich begannen sie, den Staat unter Druck zu setzen und Rechenschaft zu fordern. Mehr als ein Jahrzehnt lang war ihre Wut stetig gewachsen. Viele hatten die Hoffnung auf eine reguläre Beschäftigung aufgegeben oder waren gezwungen, das zu nutzen, was die Weltbank die Möglichkeiten »unternehmerischer Ambitionen« und des »Einfallsreichtums« in der informellen Ökonomie nennt. Aber Pappe, Plastik oder Metall auf einer stinkenden Deponie zu sammeln und selbst das Gärtnern und Putzen für die Bewohnerinnen und Bewohner der Clare Estate bieten nicht viele »Möglichkeiten«.

Die Barackenbewohner hatten eingesehen, dass die von der Regierung versprochenen Veränderungen Zeit brauchen würden, auch dass sie für ihr eigenes Wohlergehen Verantwortung übernehmen müssten, doch bis 2005 war ihnen klar geworden, dass ihre Interessen überhaupt keine Berücksichtigung finden würden. In den Worten eines Barackenbewohners: Sie waren es endlich »leid, durch Scheiße zu gehen und in ihr zu leben« (zitiert in Kockott 2005).

Also organisierten sich die Menschen der Kennedy Road noch an jenem Märztag. Sie begannen zu protestieren, weil sie sich betrogen fühlten. Die Aktion markierte den Anfang einer Bewegung, auch wenn sie sie anfangs vielleicht nicht als solche erkannten. Sie sahen sich auf sich selbst gestellt gegen die Kommunalverwaltung, die Polizei, gegen Unternehmen, die Reichen, die Medien und die Gerichte; sie warteten wie üblich nicht auf die Medien oder professionelle Aktivistinnen und Aktivisten. Von entscheidender Bedeutung war, dass sie bereits über ein demokratisches Entscheidungsgremium verfügten, das Kennedy Road Development Committee, dessen partizipatorische Versammlungen und soziale Forderungen schnell die benachbarten Gemeinschaften begeisterten. Tatsächlich wurde deren Fantasie anlässlich der Begrüßungsparty nach der Entlassung der Inhaftierten beflügelt, als der Vorsitzende des Kennedy Road Development Committee, S’bu Zikode, eine denkwürdige Rede hielt und das Tun der Menschen bekräftigte: »Der erste Nelson Mandela war Jesus Christus. Der zweite war Nelson Rolihlahla Mandela. Der dritte Nelson Mandela sind die Armen der Welt« (zitiert nach Patel und Pithouse 2005). Was dabei mitschwingen sollte, war klar. Die Armen waren nicht Christus, aber Christus war der erste Mandela, der erste Befreier, der einen neuen Himmel auf Erden skizziert. Mandela ist der wiedergeborene Christus; er gründete die Befreiung fest auf südafrikanischem Boden; seine 18-jährige Gefangenschaft während der Apartheid ist eine Metapher für die Nation, so wie seine Freilassung mit der Geburt eines neuen Südafrikas in Verbindung gebracht wird. Doch das Versäumnis des historischen Mandela, Südafrika wirklich zu befreien, verlangte die Geburt eines neuen Mandela: die Armen selbst. Nach vielen gebrochenen Versprechen durchschauten sie die leere Rhetorik der Kommunalbehörden. Das Maß war voll – »sekwanele, sekwanele!« – und die Wahrheit ging von ihren eigenen Erfahrungen aus: sie waren zur »neuen Realität der Nation« geworden und erklärten ihre Bewegung zur Universität, an der sie »ihre eigenen Kämpfe dachten« und »nicht geistig arm« waren (Zikode 2006). Die Armen nahmen die Sache selbst in die Hand, kritisierten dabei subtil Mandela und sahen sich selbst als die Kraft und den Grund für ihre eigene Befreiung – sie waren ihre eigenen Mandelas geworden.

Dies ist der Kern der Bestrebungen aller Commoners, überall in der Welt: die Fesseln der sie enteignenden Fremdbestimmung abzuwerfen; ihre eigenen Regeln zur Gestaltung ihrer Angelegenheiten und der ihnen wichtigen Ressourcen zur Geltung zu bringen; und die Protagonisten ihrer eigenen Geschichte zu werden. In diesem Sinne ist die Bewegung der Barackenbewohner ein bahnbrechender »Commoning-Kampf«, eine Möglichkeit, das Überleben und die Menschenwürde zu sichern.

Die Ursprünge der Bewegung der Barackenbewohnerschaft

Auch wenn sie vorher noch nie von einer »sozialen Bewegung« gehört hatten, waren die Barackenbewohner bis März 2005 im Prinzip eine solche geworden, und zwar durch ihre Selbstorganisation und die Entwicklung ihrer Beziehungen zu anderen Barackenbewohnern. Die Allgemeingültigkeit ihrer Erfahrungen an der Kennedy Road und ihre Forderungen wurden in benachbarten Siedlungen unmittelbar verstanden und aufgegriffen. Diese neuen horizontalen Verknüpfungen zwischen Barackensiedlungen ließen ahnen, dass sich eine neuartige Bewegung formierte. Im Mai 2005 hatten die Menschen von der Kennedy Road und fünf weiteren Barackensiedlungen sowie Bewohnerinnen und Bewohner von Wohnungen im kommunalen Wohnungsbau eine Demonstration von mehr als 3.000 Menschen organisiert. Sie trugen Banner, die ihren kollektiven Willen (»Wir wollen unser Land«) und ihre selbst organisierte politische Bildung (»Die Kennedy-Road-Universität«) zum Ausdruck brachten, und legten ein Memorandum mit zehn Forderungen vor, das sie in zahlreichen Versammlungen und Diskussionen erarbeitet hatten. Eine Handvoll Mittelschichtsaktivistinnen und Intellektuelle von der Universität KwaZulu-Natal waren in diese Prozesse involviert; dabei folgten sie dem Prinzip, dass die Menschen für sich selbst sprechen müssten.

Im Memorandum ging es um die Notwendigkeit von Wohnungsbau, Arbeitsplätzen, Abwasserentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Schutz vor Polizeigewalt und vor Umweltgiften. Es wurde zu einer Charta der Menschen, die versuchte, nicht nur die 800.000 Barackenbewohner in Durban, sondern die Armen in ganz Südafrika zu repräsentieren: fast drei Millionen Haushalte in »informellen« Behausungen. Die Forderungen waren alles andere als revolutionär. Es waren Forderungen loyaler Bürgerinnen und Bürger, die vernünftige Wünsche um Aufnahme ins »neue Südafrika« vorbrachten, und zwar aus eben ihrer Eigenschaft als Staatsbürgerinnen und -bürger heraus.

Ziel der Demonstration war das Büro des örtlichen ANC-Stadtrates. Dort machten die Demonstrierenden deutlich: Falls der Stadtrat nicht zurücktrete, würden sie, die Wählerinnen und Wähler, den Wahlbezirk 25 für »stadtratfrei« erklären. Sie hatten einen Sarg mitgebracht, der den politischen Tod des Stadtrats symbolisierte. Der Punkt war klar. Doch auch das Selbstbewusstsein der Demonstrierenden war bemerkenswert, sowohl als Klasse, die sich dem Zugriff auf Land entgegenstellte, als auch als Kollektiv, das die Regierung unter Druck setzte, nicht nur ihre Versprechen einzulösen, sondern diese Versprechen auch in ihren künftigen Debatten zu bearbeiten. Selbstbewusst forderten die Demonstrierenden den elitären Charakter der Stadtregierung und kritisierten damit implizit auch den Klassencharakter des südafrikanischen »Übergangs für die Elite«.4

Einige Monate später wurde nach einer Versammlung von zwölf Siedlungen an der Kennedy Road die Bewegung der Barackenbewohner, Abahlali baseMjondolo, gegründet.5 Es gab keinerlei externe Finanzierung weder von Nichtregierungsorganisationen noch von der Zivilgesellschaft oder von politischen Parteien. Vom Kommunalparlament durchgängig ignoriert und häufig wie Kriminelle behandelt, schlossen sich Barackenbewohnerinnen und -bewohner aus ganz Durban der Bewegung an. »Die einzige Sprache, die sie verstehen, ist, wenn wir zu Tausenden auf die Straße gehen«, befand Zikode (2006: 187). Im darauf folgenden Jahr schafften Massendemonstrationen der Barackenbewohnerschaft lokale, nationale und sogar internationale Aufmerksamkeit für ihre Misere, unter anderem durch Berichte in The Economist und anderen lokalen und internationalen Medien, darunter ein ganzseitiger Bericht in der New York Times.

Die Bewegung befand sich auf einer schnellen Lernkurve, verfügte über wenige Ressourcen, war aber dennoch in der Lage, nicht nur sich selbst darzustellen, sondern auch auf Falschdarstellungen in den Medien zu reagieren. Bald war klar, dass die Barackenbewohner nicht kleinzukriegen waren. Tägliche Demonstrationen und Aktionen in sämtlichen großen Städten Südafrikas begleiteten das steigende Ansehen und die Medienpräsenz von Abahlali. Allein 2005 gab es mehr als 600 Aktionen von Gemeinschaften, Demonstrationen und Besetzungen im ganzen Land (Alexander 2010), darunter auch Kämpfe mit der Polizei, bei denen Blut floss. Neue Technologien, insbesondere Mobiltelefone und SMS wurden genutzt, um die Kommunikation zu unterstützen (zu SMS-Aktivismus in Afrika siehe Erkine 2010). Dies hat es dieser und anderen Bewegungen ermöglicht, für sich selbst zu sprechen und sich in den Medien mehr zu vertreten, als das in der Vergangenheit möglich war.

Sie machten weiter, trotz des Aufrufs von Präsident Mbeki, die Aktionen zu beenden. »Diese Sachen haben die Jugendlichen damals im Kampf gegen die Apartheid gemacht«, beklagte er, doch genau das legitimierte die Aktionen.

Anfang 2006 fing Abahlali an, einen Boykott der für März desselben Jahres angesetzten Kommunalwahlen zu organisieren. Nach ihrem »Begräbnis« des Stadtrats war das eine logische Entwicklung. Die Entscheidung zum Boykott folgte einer Demonstration der Foreman-Road-Siedlung in die Innenstadt von Durban, die unter dem Motto stand: »Kein Land, kein Haus, keine Stimme«, welches die South African Landless People’s Movement (»Bewegung der Landlosen in Südafrika«) in einer nationalen Kampagne von 2004 genutzt hatte. Obwohl die Demonstration legal war, wurde sie vom Stadtverwalter Mike Sutcliffe verboten. Zwei Tage nach dem Verbot, am 3. Februar 2006, versammelten sich die 3.000 Barackenbewohner an der Foreman-Road-Siedlung und entschieden sich für die Demonstration, obwohl sie von der Bereitschaftspolizei eingekesselt waren. Sie verließen die Siedlung hinter den Bannern der »Universität von Abahlali baseMjondolo« und »Kein Land, kein Haus, keine Stimme«. Als sie die Asphaltstraße betraten, griff die Polizei sofort an. Mehrere Menschen wurden schwer verletzt, und 45 wurden festgenommen. Sutcliffe sprach ein weiteres Verbot für eine für den 27. Februar geplante Demonstration aus. Erneut sperrte die Polizei die Zugänge von drei großen Siedlungen ab und nahm mehrere Menschen fest. Aber dieses Mal waren die Menschen darauf vorbereitet. Mit Unterstützung progressiver Anwältinnen und Anwälte konnte Abahlali den Stadtverwalter Sutcliffe vor dem High Court verklagen und erhielt auf diesem Weg die Erlaubnis, mit dem Demonstrationszug in die Stadt hineinzugehen.

Sicherlich gibt es Kontinuitäten zwischen diesen Kämpfen und jenen gegen die Apartheid. Viele von Abahlali halten letzteren für unvollendet, und sogar Mandela hatte 1993 den Kampf der Barackenbewohner anerkannt, als man noch weithin glaubte, dass das Ende der Apartheid die Aufwertung der »informellen Siedlungen« bedeuten würde und dass die Zustände dort eine direkte Folge der Apartheid waren.6 Tatsächlich ist Südafrika immer ein Land der Extreme gewesen, ein Land von Reich und Arm. Und Entwicklungen in der südafrikanischen Wirtschaft waren stets die Domäne mächtiger Bergbau- und Finanzinteressen im Kontext des globalen Kapitalismus. Das Ende der Apartheid hat diese Eigentümerschaft sogar gestärkt. Der ANC hatte einige der besten Köpfe vereinnahmt und die Bewegungen in Regierungsstrukturen verwandelt; er versprach, das Erbe der Apartheid anzupacken, doch die tatsächlichen Politiken und Praktiken des ANC hielten nie der Rhetorik stand. Zunächst wurde dies der Zeit des Übergangs zugeschrieben, besonders auf lokaler Ebene, wo nach wie vor Apartheid-Funktionäre im Amt waren. Doch nachdem die Regierung sich die neoliberale Wirtschaftspolitik zu eigen gemacht hatte, änderte sich die Situation. Obwohl sie unter internationalem Druck standen, waren die neuen schwarzen und die alten weißen Eliten die direkten Verfasser einer »hausgemachten Strukturanpassung«.7

Heute ist klar, dass die Umverteilung nach dem Ende der Apartheid vor allem den südafrikanischen Banken und Multis von Nutzen war (und weiterhin ist). Heute können sie sogar noch freier agieren als während der Apartheid. Zudem ist die südafrikanische Wirtschaft in die globale Wirtschaft stärker integriert als je zuvor und die schnelle Einführung eines neoliberalen Wirtschaftsmodells, um globale Investitionen anzulocken, hat die Prioritäten aus den ersten Jahren der ANC-Regierung verlagert und tiefe Einschnitte in die Sozialbudgets verursacht. Ernsthafte Diskussionen über die sozialen und ökonomischen Konsequenzen der Kolonialzeit und der Apartheid sind in den 1990er Jahren einem neoliberalen Diskurs über die Armen gewichen, die als »undifferenzierte, unwillige Träger sozialer Krankheiten« (Barchiesi 2007: 46-47) dargestellt werden – mit anderen Worten: als moralisch korrupt und undiszipliniert – oder, in der Sprache der Apartheid, als »überschüssige Bevölkerung«. Unnötig zu erwähnen, dass das Post-Apartheid-Wohnungsbauprogramm Teil dieses Prozesses ist, der letztendlich darauf abzielt, die Armen aus den Städten zu verdrängen. Ein-Zimmer-Häuser, so klein wie ein Schrank und von den Städten weit entfernt, sind für viele auch ökonomisch keine Option. Es ist für sie lebensnotwendig, in der Nähe von Schulen und Arbeitsplätzen zu wohnen. Daher verstanden die Barackenbewohner es richtig, als die Stadt Durban ihren Plan für eine »Stadt ohne Slums« vorstellte: als Wiederkehr der Apartheid-Politik der »Zuflussbegrenzung« und der Entfernung »schwarzer Flecken«.8 Wieder einmal sollten Schwarze aus der Stadt und in die Ghettos der Peripherie gedrängt werden.

Der Klassencharakter dieser Situation ist klar. Das zeigt sich auch in der Wasser- und Stromversorgung. Die südafrikanische Verfassung garantiert zwar den Zugang zu »ausreichendem Wasser« (kostenfrei bis zu 25 Liter pro Tag und Person), aber in den Slums ist das nicht der Punkt. Dort ist das Problem schärfer, denn es gibt mitunter nur ein paar funktionierende Wasserhähne und Toiletten für Tausende Menschen. Es geht also nicht einfach darum, dass sich die Menschen in den Baracken nicht genügend Wasser und Strom leisten könnten, manche sind dazu durchaus in der Lage. Es geht um unzureichende Wasser- und völlig fehlende Stromversorgung und um die Tatsache, dass bei Bränden häufig nicht einmal die Feuerwehr geschickt wird. Das Ergebnis: Ausbreitung von Bränden und vermeidbare Todesfälle. In den Worten von S’bu Zikode: »Wenn die wilden Wälder und die Plantagen der Reichen brennen, dann löschen große Helikopter die Brände mit Hunderten Tonnen Wasser. Aber wenn unsere Baracken brennen, sind Helikopter und Krankenwagen nirgends zu sehen ... Helikopter kümmern sich nur dann um uns, wenn wir demonstrieren. Der Staat kümmert sich um uns, wenn wir versuchen zu sagen, was wir denken« (Zikode 2008a).

Am 21. April 2006, zwölf Jahre nach der Geburt des neuen Südafrikas durch die erste allgemeine und freie Wahl, gingen 5.000 südafrikanische Barackenbewohnerinnen und -bewohner aus den 14 informellen Siedlungen, die im Jahr zuvor Abahlali beigetreten waren, auf die Straße – aber nicht, um die Freiheit zu feiern, sondern um den »Tag der Unfreiheit« zu beklagen. Seitdem pflegen sie dieses Ritual. Wie können »wir die Freiheit feiern, wenn wir nur von ihr reden hören, wenn wir sehen, wie sich das Leben der Menschen in anderen Teilen des Landes verbessert, aber nie in unseren Gemeinschaften?« fragte S’bu Zikode (2007), womit er im Grunde den Zustand der Freiheit im ganzen Land in Frage stellte.

Der 40-jährige Gründungspräsident der Bewegung der Barackenbewohner Abahlali baseMjondolo (AbM), hat früher an einer Tankstelle gearbeitet. Anfang 2007 verlor er wegen seiner politischen Tätigkeit seinen Arbeitsplatz (Zikode 2009). Der Vater von vier Kindern war 1997 in die Kennedy-Road-Siedlung gezogen. Als Junge war er Pfadfinder in einer ländlichen Kleinstadt, schloss die Schule mit Auszeichnung ab, hatte aber kein Geld für ein Studium. Er ist ein schmächtiger Mann mit einem warmen Lächeln und einer einladenden Art, gewinnend und wortgewandt, von nachdenklichem und ruhigem Auftreten. Er ist radikaler Humanist, kein Unruhestifter, sondern Lehrer und Zuhörer, und im öffentlichen Leben des Landes eine bedeutende Person geworden. Er ist im Fernsehen, im Radio und in den nationalen und lokalen Printmedien präsent, und seine Worte werden häufig in Popkultur-Magazinen mit einer Gesamtauflage von fünf Millionen nachgedruckt (Bryant 2008). Wenngleich man S’bu Zikode als intellektuellen Kopf von Abahlali betrachten könnte – tatsächlich beschreibt er den Kampf als dialektisches, nicht statisches Denken, als »Denken, während man sich bewegt und handelt« –, hat er strikt wiederholten Aufforderungen widerstanden, sich auf kommunaler Ebene zur Wahl zu stellen oder der Sprecher der Bewegung zu sein. Für ihn sind die Probleme systemischer Natur; er sieht sich nur als Diener der Menschen, der gewählt wurde, um deren Interessen zu vertreten, und der von diesen Menschen wieder abberufen werden kann. Zikode ist mit seiner Haltung bemerkenswert konsistent geblieben: treu den Prinzipien der Basisdemokratie, der geteilten Führung und der kritischen Reflexion der eigenen Kämpfe verpflichtet. Im Jahr 2008 entschied er sich, nicht als Präsident der Bewegung zu kandidieren. Seine Argumentation:

»Es war stets meine Absicht, mich für die Bewegung nachdrücklich zu engagieren, aber mir war klar, dass in unserer Bewegung alle Positionen auf allen Ebenen geteilt werden müssen, dass die Last der Führung […] geteilt werden muss, dass ich Zeit für meine Familie brauche und in der Lage sein muss, lesen und über die Erfolge unserer lebendigen Politik nachdenken zu können. Es ist eine Politik, die immer darauf gegründet war, dass wir sehr genau über unser Leben und unsere Kämpfe nachdenken. Wir müssen uns selbst verändern, bevor wir die Welt verändern können, und wenn wir keine Zeit zum Nachdenken haben, wird diese Veränderung schwierig werden« (Zikode 2008a).

Hier wird ein wichtiges Prinzip artikuliert. S’bu Zikode insistiert nicht nur auf Zeit zum Nachdenken, sondern auch auf die zentrale Bedeutung der Selbstreflexion für die Bewegung selbst. Als er von Mitgliedern gebeten wurde, seine Entscheidung gegen eine Kandidatur zu überdenken, nahm Zikode dies ernst und merkte an, dass die »Rufe [der Bewegung] nach einer Führungspersönlichkeit, die lernen möchte und bereit ist, selbst geführt zu werden … sehr wichtig für die Arbeit unserer Bewegung [ist], sich selbst zu definieren und zu kennen, bevor Menschen von außerhalb unsere Bewegung definieren« (2008a).

Zikode hat stets klar gemacht, dass es sich beim Abahlalismus um eine »Bewegung« handelt, nicht um Individuen. Wenn er von Nichtregierungsorganisationen eingeladen wird, einen Vortrag zu halten, sind sie häufig überrascht zu erfahren, dass in der Bewegung selbstverständlich zunächst diskutiert wird, ob das in Frage kommt oder nicht, und falls sie sich zur Teilnahme entscheiden, wird ein gewählter Vertreter bzw. eine gewählte Vertreterin geschickt werden. Das ist Ausdruck eines Fanonschen Prinzips: Die Führungspersönlichkeit führt die Anderen nicht, sondern sie unterstützt die Klärungsprozesse und die Selbstreflexion; die philosophische Idee des »Erkenne dich selbst!« ist ein sozialer und kollektiver Prozess und muss es auch sein.

Zikode hat die Fertigkeit entwickelt, über die Art, die Regierung zu beschreiben, eine größere Anhängerschaft anzusprechen. Seine Botschaft fordert die Nation heraus: »Regierungsbeamte, Politiker und Intellektuelle, die die Barackenbewohner mit der Third Force [ein Begriff, der auf die mörderische, von der Apartheid geförderte Gewalt der frühen 1990er Jahre anspielt] in Zusammenhang bringen, haben keine Ahnung, wovon sie reden. Sie sind zu weit oben, um wirklich zu spüren, was wir spüren.« Und ganz wortwörtlich »weit oben«, von ihren Büros aus, können sie die Menschen darunter – physisch, konzeptionell, und erfahrungsmäßig – nicht erkennen. Es ist gut möglich, dass das der Grund für das Unverständnis ist. Zikode weiter: »Wir werden von einer anderen Third Force angetrieben, dem Leiden der Armen. Die Second Force sind unsere Verräter. Die First Force war unser Kampf gegen die Apartheid. Die Third Force wird aufhören, wenn die Fourth Force kommt: Land, Wohnungen, Wasser, Strom, Gesundheitsfürsorge, Bildung und Arbeit« (Zikode 2006). Die Andeutung ist klar: Die »Second Force«, der ANC an der Macht, hatte keine Befreiung mit sich gebracht, sondern eine »Third Force«: das Leiden der Armen. Dieser Logik zufolge ist die bislang nicht realisierte »Fourth Force« natürlich eine Zukunftsvision einer egalitären Gesellschaft.9

Ein Kampf um moralischen Diskurs und demokratische Praxis

Die Entscheidung zum Wahlboykott wurde nicht leichtfertig gefasst, doch aus Abahlalis Perspektive bedeutete Demokratie viel mehr als hin und wieder einen Urnengang zu absolvieren. Die Entscheidung brachte ein Umdenken über die zentralen Werte der Post-Apartheid-Gesellschaft mit sich. Für die Bewegung war Demokratie nicht eine alle fünf Jahre stattfindende Wahl, sondern es ging um das Alltagsleben, zu dem Gegenseitigkeit und Zuwendung gehörte sowie die Einbeziehung all jener, die systematisch ausgeschlossen worden waren und über die gesagt wurde, sie seien zu dumm, um zu verstehen. Abahlali sprach einfach eine andere Sprache, eine, die von unten kam und im alltäglichen Kampf gründete. Die Organisation befasste sich nicht mit politischen Verhandlungen, sondern mit Prinzipien, die aus einer offenen, gleichberechtigten und der Moral verpflichteten Debatte sowie einer demokratischen Praxis entsprangen: »In unserem Kampf […] geht es eher um Gerechtigkeit«, erklärte Zikode. »Ist es für Barackenbewohner gut, so wie sie es tun, wie Schweine in Lehm zu wohnen? Warum lebe ich in einem Haus aus Pappe, wenn es Menschen gibt, die in der Lage sind, in einem anständigen Haus zu leben? Also handelt es sich um eine moralische Frage« (Zikode, zitiert in Ngiam 2006).

So wie der Kampf gegen die Apartheid zum Wahlrecht führte, hinterfragt der Kampf der »shack dwellers« die Bedeutung der Wahl und gibt den Ärmsten der Armen eine Stimme: »Jetzt hat sich das Blatt gewendet«, sagte Zikode 2006, »du hörst alles direkt aus erster Hand … Wir demonstrieren, um zu sagen: Dies ist, wer wir sind, dies ist, wo wir sind, und dies ist, was wir wollen« (Interview mit Zikode in Beresford 2006; Hervorhebung im Original). Dabei stets für neue kreative Impulse, für Fragen und Innovationen von unten offen zu bleiben ist ein zentrales Prinzip. Als Bewegung der sich selbst organisierenden Barackenbewohnerschaft wurde Abahlali zum Verfasser der eigenen Geschichte, ein Prozess, an dem alle teilnehmen konnten und ein Beispiel für das, was Fanon, »Praxis der Freiheit« nennt, die sich in der »Struktur des Volkes« zeigt.

Abahlali hat den Diskurs über die »Bereitstellung von Versorgungsdienstleistungen« durchweg angefochten und besteht stattdessen darauf, dass ihre Forderungen das »Menschsein« betreffen. »Es geht nicht nur um physische Infrastruktur«, sagt Zikode, »wir haben unser Denken verändert«; von Anfang an »geht es in unserem Kampf um den Menschen, um unsere Lebensbedingungen, die sich in Forderungen nach Wohnraum und Land übersetzen« (Zikode 2007). Durch Abahlali, so fügt er hinzu, »beginnen die Menschen sich daran zu erinnern, dass sie Menschen sind« – sogar die Polizei. Mitglieder der Bewegung haben unter ihr gelitten, wurden häufig schikaniert und kriminalisiert (mit erfundenen Mordanklagen und dergleichen). Ihre Führungspersönlichkeiten, darunter Zikode selbst, wurden inhaftiert und in der Polizeistation von Sydenham verprügelt. Doch nach den anhaltenden Mobilisierungen Ende 2007 wurde eine Veränderung im Verhalten der Polizei sichtbar, und Abahlali war entschlossen, darauf einzugehen und mit der Polizei in Sicherheitsfragen zusammenzuarbeiten. Diese Kooperation wurde Ende September 2009 zerstört, als die Polizei untätig zusah, wie Mitglieder von Abahlali aus der Kennedy-Road-Barackensiedlung vertrieben und ihre Baracken zerstört wurden.10

»Die Kultur des Abahlalismus« ist ein tief verwurzelter Humanismus, der alle das Leid und den Schmerz des Alltags, aber auch das Lachen miteinander teilen lässt. Abahlalismus ist eine Kultur des Teilens, deren Wurzeln – vor dem Hintergrund des langen Kampfes gegen die Apartheid – in den Vorstellungen von Gemeinschaft und Gegenseitigkeit liegen. Das spiegelt sich in der demokratischen Offenheit und dem Respekt, die die Versammlungen prägen. »Wir kämpften, starben und stimmten für diese Regierung«, sagt Zikode, »sodass wie frei sein und ein anständiges Leben haben konnten«, aber »diese Regierung behandelt uns nicht wie Menschen, die selbstständig sprechen und denken können« (Butler und Ntseng 2007). Daher geht es nicht nur um einen Kampf um anständige Lebensbedingungen, sondern auch um eine mentale Befreiung aus Jahren der Unterwerfung und des mangelnden Selbstbewusstseins, die die Armen während der Apartheid und traurigerweise auch danach so stark unterdrückt haben. Zu Abahlalis Hauptanliegen gehört daher eine Art moralische Revolution, die Schaffung einer Gesellschaft, in der die Armen wie Menschen mit ihrem eigenen Kopf behandelt werden. »Wir sind arm im Leben, nicht im Geist«, pflegt Zikode zu sagen. Doch auf Schritt und Tritt wird er daran erinnert, dass arme Menschen in Südafrika weniger wertgeschätzt werden als andere. Obwohl sich Abahlali erfolgreich auf die Tagesordnungen von Institutionen aus Regierung und »Zivilgesellschaft« gedrängt hat, gibt es immer noch einen ständigen Kampf darum, diese Räume nicht nur offen zu halten, sondern sie auch als solche zu transformieren. Welche Taktik auch immer eingesetzt wurde, von Massendemonstrationen bis zu Gerichtsverfahren, von Treffen mit der Kommunalverwaltung bis zur »No Vote«-Kampagne – stets bleibt unerlässlich, dass alles in den Versammlungen von permanenten Reflexionen und Entscheidungsprozessen begleitet wird. Zum Beispiel können Gerichtsverfahren (darunter die Anrufung des Verfassungsgerichts) langwierig und teuer sein, die Ressourcen übermäßig belasten und den Zusammenhalt jeder Bewegung von Armen herausfordern. Abahlali schätzt die ehrenamtliche Arbeit der unterstützenden Anwältinnen und Anwälte, doch die Bewegung bleibt stets darauf bedacht, sich von unten nach oben zu organisieren und diese Organisationsform durchzuhalten, etwa durch ständige Besprechungen oder dadurch, dass »biryani money« grundsätzlich abgelehnt wird.11 So hat sie zwei Fallstricke vermieden: Abhängigkeit von Geldgebern und Professionalisierung:

Sämtliche Entscheidungen, die Geld betreffen, werden in den wöchentlich stattfindenden Versammlungen kollektiv, öffentlich und demokratisch getroffen. Alle Spenden gehen durch die formellen Strukturen der Bewegung, sodass in den Versammlungen über die Verwendung der Mittel entschieden werden kann. Abahlali wird zu 100 Prozent ehrenamtlich betrieben, kein Mitglied wird für irgendwelche Tätigkeiten für die Organisation bezahlt, Geld kommt nie einer Einzelperson zu, sondern es wird vollständig für die gemeinsamen Ausgaben wie Anwälte, Kautionen, Transport, Soundsysteme und anderes ausgegeben (Abahlali 2006a).

Auch Abahlalis Kritik an der Art und Weise, wie über die mangelnde Versorgung mit Dienstleistungen diskutiert wird, fußt auf dem Grundgedanken, aktiv an Entscheidungen und Aktivitäten teilhaben zu wollen, anstatt als Parias zu gelten, die zu verwalten und zu kontrollieren sind. Sie bahnen sich daher ihren Weg zu jenen Räume, in die sie nicht geladen wurden, und machen ihre Anwesenheit in diesen Räumen zu einer Art »aufständiger Bürgerschaft« (Holston 2007), die das Elitäre der südafrikanischen Demokratie in Frage stellt. Ihr Anspruch auf praktische und intellektuelle Gleichheit, so Cooper-Knock (2009: 57), »beruht nicht darauf, gleiches Fachwissen zu behaupten, sondern … auf ihrer Fähigkeit, ihre Situation logisch zu durchdenken«. Ihr Wissen stammt aus der existentiellen Erfahrung des Lebens in den Barackensiedlungen und ihre Politik aus der daraus gewachsenen Reflexion ihrer Situation.

Denken in Gemeinschaft

Die Bewegung der Barackenbewohner lässt sich nicht mit der Mobilisierung von Ressourcen oder mit der Unterstützung von außen erklären. Vielmehr stärkten sie selbst ihre Mobilisierungs- und Handlungsfähigkeit, indem sie auf offene Versammlungen bestanden, wo alle sprechen und Fragen durchdiskutieren konnten. Die Bewegung wuchs durch Mundpropaganda sowie persönliche Kommunikation und führte so binnen eines Jahres zu der neuen Organisation: Abahlali baseMjondolo. Wenn Abahlali nur verhalten auf Wachstum setzt, dann deswegen, weil sich die Bewegung das Prinzip zu eigen gemacht hat, alles offen und gründlich zu diskutieren sowie Entscheidungen zu treffen, auf die sich alle verpflichten können. Jede hinzukommende Barackensiedlung muss genau wie jede neue Ortsgruppe Abahlalis demokratischen Prinzipien folgen. Das wird natürlich zu einer immer größeren Herausforderung, je mehr die Organisation wächst oder sich Barackenbewohner nur anschließen, um ein konkretes Ziel zu erreichen, etwa eine Zwangsräumung zu verhindern, und nach Erreichung des Ziels das Engagement nachlässt. Dies wurde zum Beispiel kurzzeitig nach den Angriffen an der Kennedy Road 2009 sichtbar, als sich viele der Aktivistinnen und Aktivisten zurückgezogen hatten.

Jede Demonstration verlangt mehrere Vorbereitungsversammlungen, Treffen von Arbeitsgruppen sowie die aktive Kommunikation zwischen den beteiligten Siedlungen. Presseerklärungen werden diskutiert, geschrieben und verteilt. Jede Siedlung und Ortsgruppe hat ihre eigenen, unabhängigen Komitees und schickt Delegierte zu den Treffen Abahlalis, die im Rotationsverfahren in allen beteiligten Siedlungen abgehalten werden. Meist nehmen etwa 30 bis 40 gewählte Vertreterinnen und Vertreter aus den Ortskomitees teil, zudem können alle Bewohnerinnen und Bewohner derjenigen Siedlungen teilnehmen, in der das Treffen abgehalten wird (Beresford 2006). Obwohl alle die demokratische Kultur der Organisation akzeptiert haben, sind weder autoritäres Denken noch konservative Ideen bereits überwunden. Es ist manchmal weiterhin schwierig, am bewaffneten Autoritarismus von »Führungspersönlichkeiten« vorbeizukommen, die Wählerstimmen gegen private Gefälligkeiten eintauschen, die sie vom Staat erwarten. In jeder der basisdemokratisch regierten Siedlungen stehen die Versammlungen allen Erwachsenen offen, unabhängig von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Herkunft und Wohndauer. Doch meist sind von den Frauen nur die jungen und kinderlosen oder die älteren Frauen mit jugendlichen beziehungsweise erwachsenen Kindern in der Lage teilzunehmen. Wenn Versammlungen vollkommen demokratisch sein sollen, müsste Kinderbetreuung angeboten werden, doch dafür ist mancherorts schlicht kein geeigneter Raum vorhanden (Pithouse 2006: 61). In jeder Siedlung gibt es mindestens eine Versammlung pro Woche, jeden Tag trifft sich irgendeine Arbeitsgruppe und die Vertreterinnen und Vertreter jeder Siedlung kommen jeden Samstag als Abahlali baseMjondolo zusammen. All diese Versammlungen verlaufen sehr formal, Entscheidungen werden im Konsens getroffen, und es wird permanent der inklusive Prozess betont, dass man »den Ideen der anderen zuhört« und »zusammen steht« (Bryant 2008: 48).

Die Bewegung bleibt argwöhnisch gegenüber Menschen, die von außen versuchen, für sie zu sprechen oder sie zu kontrollieren, doch im Laufe der Zeit hat sie unterscheiden gelernt, wer wirklich Freund und Feind ist. Zum Zeitpunkt der Gründung waren drei Personen »von außen«, Fazel Khan, Raj Patel und Richard Pithouse – Aktivisten und Wissenschaftler der Universität von KwaZulu-Natal – täglich involviert. Auf die Fanonsche Überzeugung verpflichtet, dass eine Bewegung der Armen für sich selbst sprechen sollte, hatten sie selbst die Schule der Bewegung besucht, in ihr und mit ihr gearbeitet. Sie unterstützten die Organisation nicht nur dadurch, dass sie Kontakte zu engagierten Anwälten herstellten, Presseerklärungen abtippten und eine Website erstellten, sondern sie nahmen auch das gemeinschaftliche Denken ernst.

In Die Verdammten dieser Erde schreibt Fanon: »Wenn man allerdings eine Sprache benutzt, die nur Juristen oder Wirtschaftswissenschaftlern verständlich ist, dann läßt sich leicht beweisen, daß die Massen gegängelt werden müssen. Aber wenn man die konkrete Sprache spricht […] dann stellt man fest, daß die Massen alle Nuancen, alle Listen begreifen […] Man kann dem Volk alles erklären, allerdings unter der Voraussetzung, daß man wirklich will, dass es versteht […] Je mehr das Volk versteht, desto klarer sieht es, daß letztlich alles von ihm abhängt« (Fanon 1981: 160-163). Dieser Gedanke hilft zu erklären, wieso sich die Vorstellung der Barackenbewohner von Politik nicht um politische Ämter dreht; vielmehr geht es um eine Politik der Armen in der Sprache der Menschen. Partizipation gründet auf geteilter Erfahrung, und ihre politische Praxis beruht auf demokratischen Versammlungen in ihren Siedlungen: »Unsere Politik ist traditionelle Innenpolitik, die von allen Mamas und Gogos [Omas] sehr gut verstanden wird, weil sie ihr Leben betrifft und ihnen ein Zuhause gibt.« Wir alle können diese Sprache sprechen und verstehen; sie ist einfach und transparent und schafft so eine Situation, die bewusst kollektiv und inklusiv ist. Zikode drückt es so aus: »Wir sorgen füreinander, denken über die Situation nach und planen gemeinsam unseren Kampf« (2008: 115).

Diese Vorstellung von Politik fordert die elitäre Politik der ersten Jahre nach der Apartheid und die konzerndominierte, technizistische Phase danach heraus. Es geht hier nicht um »Empowerment« oder Inklusion im Sinne eines Platzes am politischen Verhandlungstisch. Es geht auch nicht einfach darum, gefragt zu werden, obwohl das immer ein wichtiger Anfang ist; sondern es geht um die Entfremdung, die sich in der Haltung und den Vorschlägen der Wohnungsbaufachleute ausdrückt. Sie ergibt sich aus ihrer Einstellung zu den Armen und deren systematischem Ausschluss von den politischen Entscheidungen, die andere schließlich für sie treffen.

Daher verstand sich die Kennedy-Road-Bewegung zunächst als ureigene Bewegung, vor Ort und unmittelbar agierend, vollkommen getrennt von den Diskursen liberaler Nichtregierungsorganisationen oder linker Globalisierungskritik. Im Jahr 2006 verknüpfte Zikode in einer Präsentation die Selbstorganisation der Barackenbewohner nicht nur direkt mit der Wohnungspolitik, sondern auch mit der nationalen Politik: »Wir glauben, dass Wohnungspolitik mehr braucht als Wohnungsspezialisten, reiche Berater und die Regierung. Wir glauben, dass die Wohnungspolitik vor allem jene Menschen braucht, die die Häuser benötigen. Darum wissen wir als arme Gemeinschaften und als Barackenbewohnerinnen und -bewohner auch, dass den Armen nichts anderes übrig bleibt, als in der Gestaltung und Umgestaltung dieses Landes in ein antikapitalistisches System eine Rolle zu spielen« (Zikode 2008: 115; Hervorhebung durch den Autor).

Dieser alternative Wurf, fügte er hinzu, komme aus »unserem Denken in Gemeinschaften«. Dem sollten auch die Wissenschaft und Intellektuelle zuhören – und es ernst nehmen. Anders gesagt, das Denken braucht eine neue »Geografie«, so dass vorgefasste Vorstellungen davon, wer wo denkt, in Frage gestellt werden. Dabei geht es nicht einfach um Territorialität, sondern darum, den Menschen, die die Situation kennen, die denken können und denken sollen, ihre Handlungsfähigkeit zurückzugeben. So können sie im Fanonschen Sinne eine realitätsverankerte, rationalere und effektivere Vorgehensweise fordern, die zu der selbstbewussten Erkenntnis führen wird, dass sie »den Problemen, mit denen sie konfrontiert sind, gewachsen sind« (Fanon 1968: 193).

Jenseits liberaler Vorstellungen von »Freiheit« und »Inklusion«

Von Anfang an konzentrierte sich der Diskurs der Bewegung auf Fragen von Würde und Selbstachtung. Die Erklärung »Wir sind Menschen« fand ihren Widerhall in der Empörung der Barackenbewohner über eine Politik, die ihre Misere ignorierte. Folglich ging es im Grunde nie um die technische Frage der Umverteilung von Ressourcen (wenngleich dies dazugehört), sondern um eine sehr konkrete Reflexion über das Menschsein, über menschenwürdigen Wohnraum. Die Barackenbewohner wollen als Menschen anerkannt werden. Diese Forderung ist beständig, und sie geht über die liberale Tradition der »Einbeziehung« in politischen oder rechtlichen Fragen hinaus. Die Menschen nehmen die in den Kämpfen gegen die Apartheid gewonnene Freiheit ernst und lehnen daher die Gleichsetzung von Freiheit mit neoliberalen Ideen als »Unfreiheit« ab, da dies aus ihrer Sicht auf einen Mangel an Freiheit hinausläuft. Sie wollen, dass die Freiheit wahrhaftig gleich ist.

Obwohl der Kampf um die in der südafrikanischen Verfassung verbrieften Rechte12 wichtig ist, geht es um mehr. Es geht um die Notwendigkeit, tief verwurzelte Strukturen der ökonomischen Ungleichheit anzupacken, die zum Erbe von Apartheid und Kolonialismus gehören – und im heutigen Südafrika reproduziert werden. So gesehen, ist die Forderung nach »Umverteilung« real und dringlich und sollte auch eine Kritik elitärer Politik (bzw. des apolitischen Diskurses über »Bereitstellung von Versorgungsdienstleistungen«) einschließen – egal, ob sie von einer konservativen, vertikalen Technokratie, von Nichtregierungsorganisations-Paternalismus, Avantgardismus13 oder linksgerichtetem Technokratismus motiviert ist. Letzteres beschreibt eine Situation, in der technischen Instrumenten zu viel und der Beteiligung der Allgemeinheit zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Im Gegensatz zu Reformen, die in der Welt der Wissenschaft oder der Nichtregierungsorganisationen entwickelt werden, »während die Armen und ihre Basisorganisationen bei der Strategieentwicklung und der intellektuellen Ausarbeitung nur eine untergeordnete Rolle spielen« (De Souza 2006: 337), streben die Barackenbewohner an, bei der Entscheidungsfindung und in der demokratischen Umgestaltung als Handelnde unerlässlich zu sein. Als Fanon in Die Verdammten dieser Erde schrieb, dass Intellektuelle sich in die Schule des Volkes begeben müssten, ging es ihm um die Fundierung von Konzepten, die Zikode »Denken in Gemeinschaften« nennen würde. Dieses Denken, das aus Erfahrung entsteht, ist sowohl pragmatisch als auch kritisch. Grundideen und Formeln, die auf den Versammlungen immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden, helfen dabei, neue, gemeinschaftliche Erkenntniswege zu generieren, und im Fall von Abahlali gehören die Intellektuellen der Bewegung organisch dazu. Sie leben in den Siedlungen, was viel dazu beiträgt, die Trennung der Intellektuellen von den Massen zu überwinden, die Fanon so stark beschäftigte.

Im Lauf der Zeit haben einige Nichtregierungsorganisationen und andere Akteure auch praktische Unterstützung geleistet, doch Abahlali ist nicht von externer Finanzierung abhängig, sondern vielmehr darauf bedacht, ihre politische Autonomie zu behalten: »Es ist recht interessant, denn manchmal sehen wir, dass diese Organisationen Geld haben, aber kein Wahlvolk, weißt du, Menschen«, betont Zikode, »Abahlali ist der arme Kampf – Kampf der Armen – daher wird uns Geld nicht in Versuchung führen … daher sind wir nicht käuflich« (Zikode, zitiert in Pithouse 2006). Abahlali hat also die potenziell katastrophalen Auswirkungen externer Finanzierung auf eine Bewegung armer Menschen erkannt: dass sie nämlich nicht nur einer Bewegung das Heft aus der Hand nehmen, sondern möglicherweise auch zerstören kann.

Noch einmal erinnert uns Zikode (2008: 122) daran, dass Menschen nicht vom Brot allein leben. »Wir sind arm«, sagt er, »wir wissen das, und wir mögen arm im Leben sein, aber geistig arm sind wir nicht«. Er erkennt dabei, wie schon Marx nahelegte, dass der wahre Reichtum des Individuums vom Reichtum an realen sozialen und intellektuellen Beziehungen abhängt.

Der Essay basiert auf einem Kapitel von Nigel Gibson (2011): »Unfinished Struggles for Freedom: The Birth of a New Shack Dwellers’ Movement«, in: Fanonian Practices: From Steve Biko to Abahlali baseMjondolo, Pietermaritzburg: University of Kwa-Zulu Natal Press und New York, Palgrave Press.

Literatur

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Nigel C. Gibson ist Associate Professor für interdisziplinäre Studien am Emerson College und Research Associate an der Universität Kwa-Zulu Natal. Er ist Autor von Fanonian Practices sowie Fanon: The Postcolonial Imagination und Herausgeber von acht Büchern u.a. Rethinking Fanon und Biko Lives.

1 | Ein Teil dieses Beitrags basiert auf meiner Einleitung zu Challenging Hegemony: Social Movements and the Quest for a New Humanism in Postapartheid South Africa (Gibson 2006: 1-14).

2 | Der Begriff »informelle Siedlung« wird von Nichtregierungsorganisationen bevorzugt. Er suggeriert eine vorübergehende Unterbringung, doch das geht an der Realität vorbei. Häufig leben die Familien über Generationen hinweg in solchen Siedlungen.

3 | Da ein sehr großer Teil der Literatur über Barackensiedlungen auf Studien von UN-Habitat in Nairobi beruht (wo das Problem ist, dass Baracken vermietet werden und Slumlords ihr Unwesen treiben), ist der Hinweis notwendig, dass autoritäre Regierungsstile häufig auf klientelistischen Verbänden beruhen. Lokale Führungspersönlichkeiten versuchen dort, »ihre Leute« zu Stimmvieh für die regierende Partei zu machen und erhalten dafür Wohltaten von oben.

4 | Die Legalisierung der Baracken erfolgt auf unterschiedliche Weise. Eine der Privatisierung ähnliche Form ist die Ausstellung von Eigentumsurkunden, wodurch die Bewohnerinnen und Bewohner zu Immobilieneigentümern werden. Die Bewegung befürwortet diese Strategie nicht, denn sie würde die Autonomie der Siedlung wahrscheinlich untergraben und einer auf Solidarität der Gemeinschaft gründenden Bewegung abträglich sein.

5 | Unter den 32 Gewählten waren 15 Frauen und 17 Männer. Es gibt viele Wurzeln für das Wort »mjondolo« (das umgangssprachliche Wort für Baracken). Möglicherweise waren mit »jondolo« ursprünglich die Verpackungskisten von Traktoren der Marke John Deere gemeint, die in den 1970er Jahren für den Bau von Baracken verwendet wurden.

6 | In einer Presseerklärung von 1993 proklamiert der ANC, dass die Menschen, die in »illegalen Siedlungen« lebten, »ihre Stimme erheben sollten. ›Eure Probleme sind meine Probleme, eure Lösung ist meine Lösung‹, sagte Präsident Nelson Mandela«. Dumisani Makhaye formuliert es so: »Die Krise im südafrikanischen Wohnungswesen ist … ein Ergebnis der Apartheid« (ANC 1993).

7 | Alan Hirsch (2005) ist der Auffassung, dass die Regierung ein neoliberales Programm einführte, um die Souveränität Südafrikas vor der Einsetzung eines ebensolchen Programms durch IWF und Weltbank zu schützen.

8 | Apartheid-Minister Piet Koomhof hatte zwar 1981 ein Ende der Zwangsumsiedlungen angekündigt, dies jedoch nicht umsetzen lassen. Was sich änderte, waren die Taktiken und die Sprache hin zu »vagen Versprechen, uneindeutigen Aussagen, Ankündigungen und Widerrufen, Gerüchten und Schikanen« (Platzky 1986: 395). Dieselben Taktiken kommen im Post-Apartheid-Südafrika zum Einsatz. So wurden Versprechen, die Baracken an die Stromversorgung anzuschließen, widerrufen, weil die informellen Siedlungen »temporär« seien und die Barackenbewohner bis 2010 anderweitig untergebracht würden. Auch dieser Zeitpunkt wurde später widerrufen.

9 | Als Blade Nzimande, Generalsekretär der Südafrikanischen Kommunistischen Partei, 2009 die Proteste der Armen verurteilte und Plünderungen und Zerstörung von Eigentum als das Werk einer »Third Force« abtat, haben Zeitungskolumnisten (etwa Karumbidza 2009) mit Bezügen auf Zikodes »Third Force«-Argument reagiert.

10 | Siehe: www.youtube.com/watch?v=-8gQv19cD4Y (Zugriff am 14. März 2015).

11 | »Biryani money« ist Geld für den Lebensmitteleinkauf. Während des Wahlkampfs tauchten ANC-Ortsgruppen mit großen Kesseln des Reisgerichts Biryani auf, um Versammlungen zur Wahl zu organisieren, daher die Bezeichnung (Anm. der Hg.).

12 | Südafrika hat eine liberale Verfassung, die Individuen und »Minderheiten« anerkennt. Heute wird das Land im Gegensatz zu seiner Apartheid-Vergangenheit als Regenbogennation beworben, die den Multikulturalismus feiert. Mitte der 1990er Jahre betonte Nelson Mandela: »Ich liebe jede und jeden unter euch – aller Rassen.« Zudem enthält die Verfassung materielle Rechte, etwa das Recht auf Wohnraum, auch wenn die Reichweite dieses Verfassungsrechts strittig ist. Die Tatsache, dass in der Verfassung Menschenrechte der zweiten Generation formuliert sind, bedeutet, dass Gerichte, unabhängig von ihrer Besetzung, immer noch ein Ort der politischen Auseinandersetzung für die Bewegung der Barackenbewohner sind.

13 | Abahlali ist alles andere als allein. Richard Calland (2007) argumentiert in der Wochenzeitung Mail and Guardian, dass die Demokratie den Südafrikanern, Männern wie Frauen, mehr schuldig ist als eine Regierung aus Experten mit einem Plan. Er kritisiert explizit Mike Sutcliffe, den Stadtverwalter Durbans und treuen ANC-Anhänger, und argumentiert für »eine ganz andere Vision partizipatorischer Demokratie, in der die Bürgerinnen und Bürger sinnvolle Möglichkeiten haben, die Regierung in ein fortdauerndes Gespräch einzubinden, im Gegensatz zum anachronistischen Modell der alle fünf Jahre episodenhaften, repräsentativen Demokratie«.