Brüter neuer Ideen: Medialab-Prado
Das Medialab-Prado ist ein Experimentierraum, der commons-basierte Innovationen aller Art ermöglicht: von und für die Menschen in Madrid. Mit seinen Werkstätten, Bildungsangeboten und öffentlichen Veranstaltungen hat das »Lab« die Entwicklung von experimentellen Videospielen1 oder Open-Design-Bienenstöcken für urbane Bienenzucht ebenso vorangetrieben wie kollaborative Übersetzungsprojekte. Wer Interesse hat, kann an der Visualisierung von Daten zur Luftqualität in der spanischen Hauptstadt oder am Aufbau eines bürgergetragenen Netzwerks von Messstellen zur Datenerhebung mitarbeiten. Auch Forschungsteams finden hier einen Platz. Sie entwickelten bisher zum Beispiel eine neue Typographie und entwarfen einen riesigen LED-Bildschirm, der für Kunstprojekte in der Stadt oder öffentliche Debatten eingesetzt werden kann.
Die Grundannahme, dass passionierte Amateure, Hacker aus der Open-Source-Szene, Fachleute aus unterschiedlichen Gebieten sowie Bürgerinnen und Bürger tatsächlich zusammenarbeiten und dabei Interessantes und Neues in die Welt bringen, mag seltsam anmuten. Aber genau das ist im Medialab-Prado in den vergangenen acht Jahren geschehen. Das Lab ist zu einer neuartigen öffentlichen Kultureinrichtung geworden, deren Schwerpunkt auf der Erforschung kooperativer Formen des Lernens und Experimentierens liegt. Dabei geht es insbesondere um Praktiken, die Commons ins Werk setzen und sich dabei auf digitale Netze stützen: freie Software und Hardware, das Internet als offene Infrastruktur oder konkrete Prozesse der Peer-Produktion. Vor allem durch das im Medialab angesiedelte Commons Lab2 ist dieser Ort zu einem kulturellen Zentrum geworden, in dem commons-basiertes Forschen, Experimentieren und gemeinschaftliches Produzieren vorangetrieben wird.
Das Modell ist einfach: Medialab fungiert als Plattform. Wer eine Idee hat, kann hier andere Menschen treffen, Arbeitsgruppen bilden, diese Idee diskutieren und gemeinsam Prototypen zu deren Umsetzung entwickeln. Der Charme unserer Arbeitsweise gründet in der offenen Einladung an alle, die das Wissen, das Talent oder die Begeisterung mitbringen, neue Ideen in die Welt zu setzen. Es gibt verschiedene Aufrufe, die zum Mitmachen oder zur Einreichung eigener Vorschläge animieren. Dann werden Mitstreiterinnen und Mitstreiter gesucht, aus denen sich Teams bilden, die in den Werkstätten ihren Projekte nachgehen. Jede Gruppe ist selbst ein Experiment in Sachen Team- und Gemeinschaftbildung, denn hier kommen Menschen aus verschiedenen Bereichen wie Kunst, Wissenschaft und Technik zusammen. Sie bringen verschiedene Ausbildungsniveaus mit und können sich unterschiedlich stark engagieren. Jede Gruppe muss sich selbst organisieren, ihre eigenen Regeln festlegen und entscheiden, nach welchen Kriterien die Beiträge der Teilnehmenden akzeptiert oder abgelehnt werden und welche Formen der Anerkennung es für die jeweiligen Beiträge gibt. Sie wird dabei von dem Betreuer bzw. der Betreuerin des jeweiligen Projekts begleitet. Das Medialab-Prado wird nicht umsont bisweilen auch als Inkubator für Gemeinschaften und Commons gesehen.
In unserer Rolle als »Innovationsgastgeber«, legen wir besonderen Wert auf die Nutzung Freier Software und freier Lizenzen. Sie sind das Herzstück des Ganzen. Diese Praxis erleichtert die Beteiligung derer, die direkt im MediaLab mitmachen wollen, macht aber auch die Online-Beteiligung sowie die sorgfältige Dokumentation der Projekte einfacher. Letzteres ist unerlässlich, um sie andernorts umsetzen zu können. Zudem bleibt so nachvollziehbar, wie ein Commoning-Experiment abgelaufen ist und was konkret zu seinem Erfolg oder Scheitern führte.
Das Teilprojekt Commons Lab hat sich seit seiner Gründung im Jahr 2007 von einem wissenschaftlichen Seminar, in dem die Mitglieder bislang unveröffentlichte Arbeiten zum weiten Thema »Commons« diskutierten, zu einem offenen Laboratorium entwickelt, in dem alle willkommen sind, gleich ob Fachleute aus der Wissenschaft oder Amateure. Das Commons Lab war bislang bemerkenswert produktiv: Es erforschte mit dem Projekt »Erinnerung als Commons« wie in einem kooperativen Prozess Konfliktsituationen gemeinsam erinnert werden und ein kollektives Gedächtnis geschaffen werden kann; es beteiligte sich am Aufbau des »Guifi.net Madrid«3, einer lokalen, als Commons gedachten und organisierten Telekommunikations-Infrastruktur; an »Commons-basierte Unternehmen«4, einem Projekt, das Formen der Unternehmensorganisation erforscht, die vorwiegend zu Commons beitragen wollen; und es entwickelte »Kune«5, ein Online-Instrument, das Kooperation, das Teilen von Inhalten und die freie Kultur unterstützt. Zudem war das Commons Lab Gastgeber für viele öffentliche Commons-Diskussionen, bei denen unter anderem Commons im Kontext von Städten, ländlichen Räumen, der digitalen Sphäre oder des menschlichen Körpers diskutiert wurden. Es gab öffentliche Projektpräsentationen wie zum Beispiel »Guerrilla Translation« (siehe Kasten) oder »Mapping the Commons«6 sowie ein offenes Forschungslabor für städtische Gemeingüter.
»Guerrilla Translation«
»Guerrilla Translation« ist ein P2P-Commons-Übersetzungs-Genossenschaft, die sich in Spanien gegründet hat. Getragen wird Guerrilla Translation von einer kleinen, aber internationalen Gruppe begeisterter Leserinnen und Leser, die zu sozialen und ökologischen Themen arbeiten und zudem leidenschaftlich gerne übersetzen: »Wir wollen eine kooperative Form globalen Austauschs von Ideen auf einer Plattform bieten. Wir arbeiten nicht ehrenamtlich, sondern entwickeln unser eigenes innovatives Geschäftsmodell, das ›den großen Worten‹ vieler zeitgenössischer Beiträge zum Thema ›New Economy‹ und ihrer Macht zur Veränderung Taten folgen lässt«, heißt es auf der Website.
Das Guerrilla-Manifest skizziert, was übersetzt wird – ganze Bücher, Interviews, Videos, Dokumentarfilme sowie das gesprochene Wort – und wie: ohne Mittler, »zu Hause«, oft nicht als Auftragswerk sondern aus eigenem Antrieb. Alle Übersetzungen werden frei lizensiert und allgemein zugänglich gemacht.
Und es beschreibt die Auswahlprinzipien:
1) Innovative Ideen
2) Verschiedenheit der Perspektiven
3) Praktische Lösungen
4) Vernichtet Gewalt, bis sie mausetot ist
5) Einleuchtend, aber nicht von Erleuchteten
6) Aktuell aber ohne Verfallsdatum
Informationen
www.guerrillatranslation.es/el-manifiesto-guerrilla-translation
Das Medialab-Prado zeigt: Stadtpolitik und öffentliche Einrichtungen können die Entwicklung neuer Commons-Projekte maßgeblich voranbringen. Umgekehrt erlaubt die Commons-Perspektive, öffentliche Institutionen neu zu denken: Menschen werden unmittelbar einbezogen, können dabei ihre Fähigkeiten weiterentwickeln und bekommen dafür leicht zugängliche, offene Infrastrukturen zur Verfügung gestellt. Das wiederum erfordert, was der Anthropologe Christopher Kelty »rekursive Öffentlichkeit« nennt: »eine Öffentlichkeit, die sich durch ihre geteilte Verantwortung für den Erhalt jener Mittel und Medien konstituiert, die es ihr ermöglichen, als Öffentlichkeit zusammenzukommen« (Kelty 2008: 27).
Vor diesem Horizont versucht das Medialab-Prado, als Teil des Bereichs Kunst und Kultur der Stadt Madrid vom »commoning« zu lernen – mal mit, mal ohne Erfolg. Als Institution, die den Commons als Organisationsform verpflichtet ist, sind dabei eigene Werkstätten, Diskussionsorte und Veranstaltungen unentbehrlich.
Literatur
Kelty, Ch. (2008): Two Bits. The Cultural Significance of Free Software, Durham, NC, Duke University Press.
1 | Siehe: http://medialab-prado.es/article/playlab_experimentacion_con_videojuegos (Zugriff am 8. Januar 2015).
2 | Siehe: http://medialab-prado.es/laboratorio_del_procomun (Zugriff am 8. Januar 2015).
3 | Siehe: http://madrid.guifi.net/ (Zugriff am 8. Januar 2015).
4 | Siehe: www.colaborabora.org/proyectos/empresas-del-procomun (Zugriff am 8. Janu-ar 2015).
5 | Siehe: http://kune.ourproject.org (Zugriff am 8. Januar 2015).
6 | Siehe: http://mappingthecommons.net/en/world; siehe auch den Beitrag von Ellen Friedmann zu globalen Commons-Kartierungsprojekten in diesem Band. (Zugriff am 8. Januar 2015).