»Remix the Commons«
Hören, Sehen, Andersmachen: Anmerkungen über eine weitläufige Plattform
»Wie definieren Sie Commons in einem Satz?« Mit dieser kurzen Frage und der Videokamera auf der Schulter erblickte »Remix the Commons«1 im Jahr 2010 das Licht der Welt. Wir stellten sie vielen Menschen aus unterschiedlichen Millieus, Kulturen, Bildungsschichten und Erfahrungshorizonten. Und wie bei einer zufälligen Befragung von Passanten auf der Straße üblich, bekamen wir recht spontane Antworten. Natürlich waren diese so vielfältig wie die von uns interviewten Personen, und obwohl sie stets unvollständig waren, trugen sie alle einen Baustein bei, der sich mit anderen Bausteinen zu einer Definition der Commons fügte.
In Berlin sagte uns ein bekannter kanadischer Umweltexperte auf einer Commons-Konferenz im Jahre 2010: »Commons sind eine Haltung.« Ein Jahr später befand eine senegalesische Teilnehmerin des Weltsozialforums in Dakar: »Commons sind das, was alle gemeinsam teilen.« Und wieder ein anderer meinte: »Sie sind etwas, dem ich mich verpflichtet fühle.« Im Mai desselben Jahres auf der Plaça de Catalunya in Barcelona bediente sich einer von 15.000 Demonstranten des Bildes »einer Fußballmannschaft (die gut spielt!)«. Auf einer Kundgebung zum Tag der Erde 2012 im kanadischen Montreal antwortete ein Teilnehmer: »Commons sind das, was jedem gehört.«Und der Nächste gleich darauf: »Commons sind das, was niemandem gehört.« In Brasilien, während der Rio+20-Konferenz, sprach ein ekuadorianischer Minister mit uns über Commons und »Buen Vivir«2. Auf einem Commons-Festival 2014 in Helsinki mussten wir die Frage umformulieren, um sie einer litauischen Tänzerin stellen zu können: »Wie würden Sie Commons tanzen?« Ihre spontane Antwort: »Aber das ist alleine unmöglich.« Daraufhin forderte sie den Interviewer auf, sich an einer gemeinsamen »bewegten« Commons-Definition zu beteiligen.
In unsere Sammlung, die Ende 2014 weit mehr als 100 Antworten in 35 Sprachen aus ungefähr 40 Ländern umfasst, haben wir natürlich auch Definitionen aufgenommen, die präziser und ausgefeilter sind, die die lange Praxiserfahrung von Commoners oder die Forschungsergebnisse von Commons-Theoretikern spiegeln. All diese gehaltvollen und vielfältigen Antworten auf unsere einfache Frage haben uns sowohl den universellen Charakter der Commons verdeutlicht als auch die Schwierigkeiten, denen man sich stellen muss, wenn man solch eine Definition einerseits umreißen und andererseits offen und dynamisch halten will. Und sie haben uns gezeigt, dass eine interkulturelle Perspektive unabdingbar ist.
Remix the Commons versteht sich als ein Raum der interkulturellen Begegnung, des Teilens und der gemeinsamen Produktion von Video- und Audiodokumenten, Kurzfilmen sowie Medien- und Kulturprojekten über Commons. Es ist die Initiative eines internationalen Kollektiv, von Menschen und Organisationen, die davon überzeugt sind, dass das Sammeln, Austauschen und Remixen von Erzählungen und Bildern über Commons ein so aktiver wie geselliger Weg ist, den Begriff kennenzulernen und ihn sich anzueignen.
Remix the Commons funktioniert selbst wie ein Commons. Die Arbeit organisiert sich um eine offene und kollaborative Plattform. Diese besteht aus einer Internetseite, die es ermöglicht, Multimedia-Dokumente zu speichern, auszutauschen, zu katalogisieren, neu zu mischen und zu verbreiten. Auch finden wir stets Orte und Möglichkeiten für die gemeinsame Konzeption, Gestaltung und Belebung medialer Produktionen. Den Praktikern, Wissenschaftlerinnen und Vermittlerinnen der Commons steht damit ein interkulturelles, freies und kollaboratives Verzeichnis multimedialer Dokumente über ihr Thema zur Verfügung. Sie können es verwenden und mit eigenen Beiträgen bereichern.
Die Geschichte des Projekts hängt eng mit dem Auftauchen der Commons in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte sowie in den Vorschlägen der sozialen Bewegungen seit der Krise von 2008 zusammen. Anlässlich der Internationalen Commons-Konferenz (ICC)3 wurde im November 2010 ein erster Entwurf präsentiert. Er wiederum geht zurück auf die Videodokumentation des interdisziplinären Treffens »Wissenschaft und Demokratie«, das im Januar 2009 das Weltsozialforum von Bélem in Amazonien eröffnet hatte. Auf der Abschlusskundgebung dieses Weltsozialforums fanden die Commons ihren Platz, bei dieser Gelegenheit wurde auch das »Manifest für die Wiederaneignung der Gemeingüter« in mehreren Sprachen veröffentlicht.4 In eben diesem Jahr hat man Elinor Ostrom mit dem Nobelpreis für ihre Arbeiten zu den Commons ausgezeichnet, und in der Freien Kulturszene zirkulierte die Dokumentation RIP: A Remix Manifesto5, in der das kreative Schaffen der Menschheit als Ergebnis einer gemeinschaftlichen Schöpfung in Raum und Zeit gewürdigt wurde.
Remix the Commons ist nach wie vor mit den internationalen Treffen der sozialen Bewegungen verbunden; das färbt die Realisierung unserer konkreten Projekte. In Zukunft wollen wir uns auf Ereignisse konzentrieren, die die Kunst des Commoning6 herausarbeiten.
Die ungefähr 300 realisierten Videodokumente wurden mehr als 15.000 mal aufgerufen, reproduziert, verbreitet und in Veranstaltungen genutzt. Es gibt Interviews, Fallstudien, Videoberichte über konkrete Projekte oder Aktivitäten und deren Reflexion, theoretische und politische Aussagen über Commons sowie unsere eingangs erwähnte Sammlung individueller Definitionen. Letztere wird derzeit kartographiert. Auf einer Weltkarte werden also die jeweilige Sprecherin oder der jeweilige Sprecher mit ihrer Aussage verortet, was für Workshops und Bildungsveranstaltungen zur Entdeckung der Vielfalt der Commons sehr hilfreich ist. Solche Workshops – etwa die »Commons-Frühstücke« oder die »Commons-Sommerschulen« – illustrieren, wie gemeinsame Wissensproduktion in offenen Netzwerken funktioniert. Es sind Momente der kollektiven Aneignung und Weiterentwicklung des Begriffsfeldes der Commons.
Mit dem Erscheinen der Commons auf der internationalen Bühne von Kultur und Politik muss Remix the Commons sich an die schnelle Entwicklung der soziopolitischen Kontexte anpassen. Das zeugt von der Vorschlagskraft einer noch immer bunten Bewegung, die zunehmend Einfluss auf die sozioökonomische und politische Tagesordnung gewinnt.
Die Herausforderungen dabei sind zahlreich: etwa »Commons-Washing« zu begegnen, das den innovativen und revolutionären Charakter der Commons zu banalisieren sucht; oder der ununterbrochenen Einhegung von Informationen und natürlichen Ressourcen entgegenzutreten; gemeinsame Strategien, Methoden und Kommunikationswege zwischen Commoners des Kulturhandwerks, der Bildung und der Kommunikation ersinnen, um Wissen zu teilen und zwar so, dass, wie Georges Por es ausdrückt, »unsere Kommunikationskultur eine Kultur des Commoning ist«.7 Und das alles so interkulturell, nutzerfreundlich, partizipativ und einladend wie möglich. Zu guter letzt muss Remix the Commons eine ökonomische Basis finden, die unserer Idee angemessen ist.
1 | Im französischen Original »Remix Biens Comuns«.
2 | Zum Zusammenhang zwischen Commons und dem andinischen Konzept des Buen Vivir, siehe »Der Schaum dieser Tage: Buen Vivir und Commons. Ein Gespräch von Gustavo Soto Santiesteban und Silke Helfrich, Bielefeld 2012, in: Helfrich, S., und Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, Bielefeld, transcript, S. 335ff.
3 | Siehe: http://p2pfoundation.net/International_Commons_Conference_2010 (Zugriff am 23. November 2014).
4 | Siehe: http://bienscommuns.org (Zugriff am 23. November 2014).
5 | Ein Dokumentarfilm von Brett Gaylor zur kritischen Reflexion des Copyright im Zeitalter digitaler Technologien. Verfügbar unter: https://www.nfb.ca/film/rip_a_remix_manifesto/ (Zugriff am 20. August 2014).
6 | Siehe: www.schoolofcommoning.com/content/art-commoning-commons-education (Zugriff am 20. August 2014).
7 | »We have to raise our culture of communication to the level of commoning« (George Por, 2013 in Berlin).